Anforderungen und Empfehlungen Hierzu gehören eine Beratung des Betreibers sowie ein umfassendes Schutzkonzept und eine entsprechende Dokumentation der umgesetzten Überspannungsschutzmaßnahmen
Keine Nachrüstforderungen Grundsätzlich erneuerte oder erweiterte Anlagenteile sind allerdings nach dem aktuellen Normenstand zu errichten, worüber der Eigentümer oder Auftraggeber zu informieren ist
Ziel der VDE 0100-443 und -534 ist es, die Anzahl der Überspannungsschäden durch ein umfassendes Schutzkonzept und den Einsatz von Überspannungsschutzgeräten zu minimieren (Siehe Kasten). Diese Überspannungsschutzgeräte (in der Norm verwendetes Kürzel: SPD = Surge Protective Device) sollen eine Spannungsbegrenzung entsprechend der Isolationskoordination (sprich: Spannungsfestigkeit der Installation und Betriebsmittel) sicherstellen. Gefährliche Funkenbildungen aufgrund eines Isolationsversagens – mit Kurzschluss und möglicherweise resultierenden Bränden – sollen vermieden werden.
Überspannungsschutz in jedem Neubau
In der VDE 0100-443 ist geregelt, wann Überspannungsschutz notwendig ist. Seit Einführung der neuen Norm ist Überspannungsschutz auch in jedem Neubau erforderlich, bei dem auftretende Überspannungen Einfluss auf Einzelpersonen haben. Hierzu zählen z. B. Wohngebäude und kleine Büros, wenn in diesen Gebäuden Betriebsmittel der Überspannungskategorie I oder II errichtet sind. Es ist davon auszugehen, dass Betriebsmittel der Überspannungskategorie I (1,5 kV) und II (2,5 kV) in jedem Wohngebäude installiert sind. Somit ist Überspannungsschutz in allen Neubauten Pflicht – auch wenn kein äußeres Blitzschutzsystem vorhanden ist. Seit Ablauf der Übergangsfrist am 14.12.2018 kann fehlender Überspannungsschutz im Schadensfall zu rechtlichen Konsequenzen führen. Elektroinstallateure und Planer haben die Pflicht, den Bauherren über den notwendigen Überspannungsschutz und entsprechende Schutzmaßnahmen zu informieren (sogenannte Informationspflicht).
Allein in Deutschland entstehen jedes Jahr 450.000 Überspannungsschäden. Grund hierfür sind nicht nur die energiereichen Blitzüberspannungen. Neben direkten Blitzeinschlägen führen ferne Blitzeinschläge, im Umkreis von bis zu 2 km, durch induktive Einkopplungen in die Versorgungsleitung zu Überspannungen in der elektrischen Anlage. Häufig treten Überspannungen auch als Folge von Schalthandlungen (Kürzel laut Norm: SEMP = Switching Electromagnetic Pulse) auf. Diese Schalthandlungen sind zwar energieärmer als Blitzüberspannungen, können jedoch einen sehr steilen Anstieg aufweisen. Das Schalten von leistungsstarken Maschinen, induktiven Verbrauchern oder auch Kurzschlüsse im Stromversorgungsnetz stellen Ursachen für diese transienten Überspannungen dar. Elektronische Bauelemente können durch diese Belastungen zerstört werden und durch einen Kurzschluss eine gefährliche Funkenbildung erzeugen.
Umsetzung der Schutzmaßnahmen
Wie die Überspannungsschutzmaßnahmen umzusetzen sind, beschreibt die VDE 0100-534. Hiernach sind die Überspannungsschutzgeräte so nah wie möglich am Speisepunkt der Anlage zu installieren.
Für viele Gebäude reicht an dieser Stelle ein SPD des Typs 2, das vor Teilblitzströmen und Schaltüberspannungen schützt, die über die Versorgungsleitung in die Anlage gelangen können. Die Überspannungsschutzgeräte müssen vor einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) eingesetzt werden, da diese sonst den angeschlossenen Stromkreis unterbricht (Bild 1). Der Schutzpegel des eingesetzten SPD darf die Stoßspannungsfestigkeit der Installation und der angeschlossenen Betriebsmittel nicht überschreiten. Zum Schutz von empfindlichen Steuerungen muss der Schutzpegel unter 1500 V liegen. Der Planer oder Installateur muss eine entsprechende Isolationskoordination durchführen. Bei Gebäuden mit äußerem Blitzschutzsystem ist ein SPD des Typs 2 nicht ausreichend. Hier ist mit blitzstromtragfähigen SPDs des Typs 1 ein Blitzschutzpotentialausgleich am Gebäudeeintritt aufzubauen. Zusätzlich zur DIN-VDE-0100-Reihe ist in diesem Fall die sogenannte Blitzschutznorm VDE 0185-305 zu beachten (Bild 2). Nach der aktuellen DIN VDE 0100-443 muss auch bei Gebäuden, die über kein äußeres Blitzschutzsystem verfügen, aber mit einer Freileitungseinspeisung versorgt werden, ein SPD des Typs 1 eingesetzt werden. Diese SPDs des Typs 1 am Speisepunkt der Energieversorgung müssen einen Stoßstrom von mindestens 5 kA der Impulsform 10/350 pro Außenleiter ableiten können. Dies gilt auch, wenn das Gebäude vom letzten Mast über ein Erdkabel mit der Freileitung verbunden ist. Die Typ-1-SPDs werden direkt am Gebäudeeintritt eingesetzt und parallel zu den Außenleitern des Energienetzes angeschlossen. Der direkte Blitzeinschlag wird mit Prüfimpulsen von bis zu 100 kA der Impulsform 10/350 simuliert. Der Schutzpegel muss hier unterhalb 4000 V liegen. Bei betriebsstromfreien Überspannungsschutzgeräten (SPDs) ist auch der Einsatz vor der Hauptzählereinrichtung im netzseitigen Anschlussraum möglich.
Schutzbereich und Anschluss der SPDs
Die Norm definiert einen wirksamen Schutzbereich der SPDs von maximal 10 m Leitungslänge bis zum zu schützenden Gerät. Ist die Leitung länger oder ist mit weiteren Überspannungseinkopplungen zu rechnen, sind zusätzliche Schutzmaßnahmen notwendig. Bei größeren Abständen muss ein weiteres Überspannungsschutzgerät so nah wie möglich vor dem Endgerät eingbaut werden, beispielsweise ein SPD des Typs 2 in weiteren Unterverteilungen und in einer zusätzlichen Schutzstufe ein SPD des Typs 3, welches direkt am Endgerät installiert wird (Bild 3). Das SPD des Typs 3 schützt vor induktiven Einkopplungen und Schaltüberspannungen in den Endgerätestromkreisen. Diese Überspannungen treten hauptsächlich zwischen Außenleiter (L) und Neutralleiter (N) auf. Durch die sogenannte Y-Schaltung werden L- und N-Leiter über Varistoren geschützt und die Verbindung zum PE-Leiter mit einer Funkenstrecke hergestellt. Diese Schutzschaltung leitet Querüberspannungen ab, ohne dass der Fehlerstromschutzschalter (RCD) daraus einen Fehlerstrom interpretiert und somit auch nicht abschaltet. Hierdurch werden Endgeräte effektiv vor Überspannungsschäden geschützt. Auch die gesamte Anschlusslänge als Stichleitung zum SPD ist in der neuen Norm geregelt und darf eine Länge von 0,5 m nicht überschreiten. Ist diese Forderung nicht umzusetzen, müssen weitere Maßnahmen getroffen werden. Es kann ein weiteres SPD, z. B. Typ-3-Geräteschutz, direkt an den zu schützenden Betriebsmitteln eingebaut oder mit der sogenannten V-Verdrahtung die Länge der Anschlussleitung im Stich zum SPD minimiert werden. Im Schaltschrank kann ein zusätzlicher und vermaschter Potentialausgleich mit der metallenen Montageplatte und dem Gehäuse erfolgen.
Durch derartige mehrfache, parallele Verbindungen wird die Induktivität der Potentialausgleichsverbindung und der resultierende Spannungsfall reduziert. Der Querschnitt der Anschlussleitungen muss gemäß des auftretenden Kurzschlussstroms nach DIN VDE 0100-430 ausgewählt werden. Die neuen Normen weisen nun zusätzlich einen Mindestquerschnitt für die Tragfähigkeit der Impulsströme zwischen dem aktiven Leiter und SPD sowie zwischen SPD und Haupterdungsschiene auf (Tabelle).
Wirksamer Schutzkreis
Zwar gelten die neuen Normen für Niederspannungsanlagen und nicht für informationstechnische Systeme, jedoch wird ein umfassendes Schutzkonzept empfohlen. Da informationstechnische Systeme wie Telefone, TV-Anlagen, Datennetzwerke oder Gebäudesteuerungen oft durch Energieversorgung und Datenleitungen gespeist werden, können Überspannungen auf beiden Systemen eingekoppelt werden. Für einen wirkungsvollen Schutz müssen alle Leitungen eingebunden werden, die ins Gebäude führen (Bild 4). Elektrische Geräte, die gleichzeitig am Strom- und Daten-/Telefonnetz betrieben werden sowie empfindliche Steuerungs- und Kommunikationseinrichtungen, sind besonders durch Überspannungen gefährdet. Würde hier nur die Spannungsversorgung geschützt, könnte es zu gefährlichen Kurzschlüssen in diesen Geräten kommen. Bindet man hingegen alle Leitungen gemäß des Schutzkreises direkt oder indirekt mit SPDs in den lokalen Potentialausgleich ein, kommt es nicht zu gefährlichen Potentialunterschieden an den Betriebsmitteln. Das gesamte System wird auf das gleiche Spannungsniveau angehoben und es entsteht kein unkontrollierter Potentialausgleich durch Kurzschluss mit Funkenbildung und Brandgefahr.
Fazit
Mit einem umfassenden Schutzkonzept lassen sich die Anforderungen und Empfehlungen der Norm erfüllen, Überspannungsschäden vermeiden und Kundenwerte schützen. Mit einer entsprechenden Dokumentation von der Beratung des Betreibers über die Prüfung der Notwendigkeit bis zu den umgesetzten Überspannungsschutzmaßnahmen sind Planer und Elektroinstallateure auch rechtlich immer auf der sicheren Seite. Die Installationsnormen DIN VDE 0100-443 und DIN VDE 0100-534 enthalten keine Nachrüstforderungen, jedoch gilt, dass grundsätzlich erneuerte oder erweiterte Anlagenteile nach dem aktuellen Normenstand zu errichten sind. Der Installateur muss den Eigentümer oder Auftraggeber bei Arbeiten in bestehenden elektrischen Anlagen gemäß seiner Informationspflicht darauf hinweisen, dass auch in dem nicht erneuerten bzw. erweiterten Anlagenteilen Überspannungsschutzeinrichtungen notwendig sein können.