Heutzutage wird ein wirtschaftlicher EMV-Schirm (Geflecht) meist mit einer minimalen Deckung von 85 % verknüpft. Diese Deckung ist für viele Anwender als EMV-tauglicher Schirm ausreichend. In Kombination mit einer Aluminiumfolie (längs oder gewickelt) lässt sich das Kabel noch besser abschirmen. Diese ist für flexible Anwendungen aufgrund der Biegesteifigkeit jedoch nicht optimal. Die allgemein geläufige Aussage zu Geflechtschirmen besagt, dass bei höherer Deckung die Schirmwirkung zunimmt. Die komplexen Kopplungsmechanismen bestätigen diese Aussage bei Kabeln mit Geflechtschirmen ab einer bestimmten Deckung allerdings nicht immer.
Erstes Thema wird die Vollabschirmung sein, bevor die komplexe Kopplung bei einem Geflecht analysiert wird. Bei Gleichspannung oder bei tiefen Frequenzen verteilt sich der Strom im Schirm (Bild 1a) gleichmäßig und homogen.
Die induktive Kopplung ist gegenüber der ohmschen Kopplung vernachlässigbar klein. Störquelle und Störsenke haben die gleiche Erdschleife. Das ist nichts anderes als bei einer typischen galvanischen Kopplung; allerdings gilt dies nur für tiefe Frequenzen. In diesem Fall entspricht der Kopplungswiderstand dem Gleichstromwiderstand des Schirmes.
Schirmwirkung & Transferimpedanz
Für Geflechtschirme wird die Sache noch komplexer. Die Stromverteilung ist bei tiefen Frequenzen annähernd homogen. Der Kopplungsmechanismus ist daher identisch zur Vollabschirmung. Bei steigender Frequenz kann sich der Geflechtschirm bis zu einer bestimmten Frequenz wie ein geschlossener Schirm verhalten. Das gilt aber leider nicht für alle Geflechte. Danach treten die Felder durch die Aperturen (lat. Apertus: offen, geöffnet; hier für Löcher im Geflecht) aus, sodass sich äußere Störfelder ausbreiten (Bilder 2a und 2b).
Bei Bild 3 sind typische frequenzabhängige Kopplungswiderstände von Geflechts- und Rohrschirmen dargestellt. Die rote Kurve zeigt die Transferimpedanz bei einer geschlossenen Abschirmung. Die blaue Kurve repräsentiert den Geflechtschirm. Bis zum Knickpunkt gibt es keine großen Unterschiede, allerdings tritt ein derartiger Knickpunkt nicht bei allen Geflechten auf. Die meisten 85-%- Geflechte weisen nur einen leichten oder gar keinen Knickpunkt auf. Nach diesem Punkt, d.h. bei höheren Frequenzen, beginnt die spürbare Störung des magnetischen Feldes.
Die Simulation wurde bei Leoni mit mehreren Versuchen verglichen und die Übereinstimmung ist bei runden Kabeln erstaunlich gut. In den Bildern 4a und 4b wurden die entsprechenden Messungen und Berechnungen verglichen. Die Messung wird mit der triaxialen Messmethode nach EN 50289-1-6 EN (Kommunikationskabel, Spezifikationen für Prüfverfahren-Elektromagnetische Verhalten) durchgeführt.
Solange das Kabel geometrisch rund und das Geflecht fest und formstabil aufgebracht ist, erhält man sehr gute Ergebnisse. In der Praxis sind Signalkabel meist nicht rund. Die Aufbauten mit zwei, drei und vier Adern sind ohne Zwischenmantel unrund. Der Flechtprozess, sowie die Zugkraft einzelner Fachungen, Genauigkeit von Steigung etc. nehmen hierbei großen Einfluss. Aus diesem Grund ist ein Vergleich mit der Praxis nicht einfach. Die große Schwierigkeit liegt in der Berechnung des induktiven Anteils. Das magnetische Feld des Schirms wird durch die Skin- und Proximity-Effekte stark beeinflusst.
Andererseits stellt dieser induktive Anteil den Hauptteil der Transferimpedanz dar. Die größte Herausforderung ist daher, diese induktive Kopplung zu berechnen. Sie ist abhängig von den Parametern des Geflechts. Im Einzelnen handelt es sich dabei um
- den Drahtdurchmesser (d )
- die Anzahl der Drähte (n )
- die Anzahl der Fachungen (M)
- die Geflechtsteigung (st) und den Durchmesser unter dem Geflecht (dug).
In diesem Zusammenhang hat sich zunächst die erstaunliche Erkenntnis ergeben, dass eine größere Geflechtabdeckung nicht immer die bessere Variante ist. In Bild 5 werden zwei Geflechtaufbauten gemessen und verglichen. Einziger Unterschied beider Geflechte ist dabei die Anzahl der Drähte pro Fachung. Die blaue Kurve hat einen Draht weniger als die rote Kurve. Alle weiteren Geflechtparameter, wie auch die Messmethode, sind identisch.
Messungen nach EN 50289-1-6
Ein zusätzlicher Draht kann auch wie eine Antenne wirken und dadurch ein schlechteres Kopplungsverhalten sowie zusätzliche magnetische Felder hervorrufen. Dieses Phänomen kann bei verschiedenen Durchmessern und Geflechtaufbauten auftreten. In Gegensatz zur Transferimpedanz wird die Schirmdämpfung nicht allzu stark vom Geflechtaufbau beeinflusst. Es sind lediglich bis ca. 100 MHz leichte Unterschiede feststellbar. Technische Optimierungen lassen sich erst realisieren, wenn diese produktionstechnisch umsetzbar und dabei auch wirtschaftlich sind.
Ein weiterer Parameter ist die Spulenanzahl. Sie ist für die Anzahl und die Größe der Öffnungen sehr wichtig. Eine höhere Anzahl der Spulen (M) erhöht die Anzahl der Aperturen. Anderseits wird die Fläche dieser Aperturen kleiner, was die Schirmdämpfung positiv beeinflusst. Mehrere kleine Aperturflächen sind besser als wenige große.
Eine weitere Komponente ist die Wahl des Draht-Durchmessers. In der Praxis liegt dieser meist zwischen 0,07 mm und 0,3 mm. Dünnere Drähte können leichter reißen, haben aber andererseits weniger Gewicht. Mit einer hohen Drahtanzahl und dünneren Drahten können wirtschaftliche und EMV-taugliche Geflechte hergestellt werden. Jeder Kabeldurchmesser muss speziell analysiert und konstruiert werden. In bestimmten Fällen verlangen die Kunden physikalische Geflecht-Querschnitte für interne Berechnungen. Die Berechnung des elektrischen Widerstandes über den physikalischen Geflecht-Querschnitt führt zu einem falschen Schirmwiderstand. Der effektive Schirmwiderstand kann bis zu 20% über dem theoretisch berechneten Wert liegen. Für die Berechnung des Schirmwiderstandes sollte immer der elektrische Querschnitt angefragt werden.
Fazit
Mit dem Modell von Kley lassen sich runde symmetrische Kabel sehr gut für tiefe und hohe Frequenzen simulieren und optimieren. Heutzutage sind für Datenkabel, sowie Cat5 bis Cat7 die entsprechenden Vorgaben in der EN- oder IEC-Norm vorgegeben. Die meisten Signalkabel (mit Ausnahme des Bahnbereichs) sind nicht normiert oder es wird lediglich eine Deckung von 85 % verlangt. Diese Deckung allein macht vor allem bei größeren Kabeln wenig Sinn, weil hier bei gleicher Deckung die Aperturflächen ebenfalls vergrößert werden. Die Öffnungen können mit einer Aluminiumfolie abgedeckt werden falls keine Dauerbewegung gefordert ist. Dadurch wird die Schirmwirkung sehr stark verbessert. Aufgrund weitreichender Erfahrung und verifizierter Simulations-Software ist Leoni in der Lage, für alle Anforderungen die optimale Abschirmungslösung zu entwickeln.