Alle nachfolgenden Erläuterungen unterstellen, dass im jeweiligen Bauvertrag die Geltung der VOB/B vereinbart wurde, was in der überwiegenden Mehrzahl der Verträge der Fall ist. Allerdings beantwortet die VOB/B bei weitem nicht alle in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen. Hierzu müssen die Regelungen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu Rate gezogen werden.
Muss der Auftragnehmer Mehrkosten in Kauf nehmen, um die Leistungen weiterzuführen?
Schon in der Vergangenheit gab es Situationen, in denen durch unvorhergesehene Preissteigerungen für Stahl oder Kupfer oder andere Ereignisse massive Mehrkosten bei der Ausführung von Aufträgen entstanden sind. Ähnliches kann sich jetzt wiederholen, wenn zum Beispiel preiswerte Monteur-Unterkünfte geschlossen werden oder Montagekolonnen nicht einreisen können. Die Frage ist, ob der Auftragnehmer teurere Unterkünfte anmieten oder inländische Nachunternehmer beauftragen muss, um seine Leistungen weiterzuführen.
Nach den geltenden gesetzlichen Regelungen ist der Auftragnehmer verpflichtet, Mehrkosten zu übernehmen. In § 275 Abs. 2 BGB steht hierzu: »Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.«
Aus der Rechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte ergibt sich, dass ein Auftragnehmer erhebliche wirtschaftliche Anstrengungen auf sich nehmen muss, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen. In dem größten Kommentar zum BGB heißt es hierzu: »Das Maß grober Unverhältnismäßigkeit ist dann erreicht, wenn ganz offensichtlich kein vernünftiger Mensch daran denken würde, den unter den gegebenen Umständen erforderlichen Aufwand zu treiben, um die Vertragsleistung zu erhalten. Die Erbringung der Leistung muss angesichts der Kosten evident und in hohem Maße unsinnig sein. Ist dieser Grad evidenter Unsinnigkeit nicht erreicht, schadet die bloße Unwirtschaftlichkeit dem Auftraggeber nicht.«
In diesem Sinne sagt auch § 6 Abs. 3 VOB/B, dass der Auftragnehmer alles tun muss, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen. Wenn es am Ende tatsächlich zum Streit über mögliche Verzugsschäden kommt, könnten Auftraggeber demzufolge argumentieren, dass der Auftragnehmer nicht alles gesetzlich Gebotene getan hätte, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen.
Mit Blick auf den Umfang des Auftrages seien z. B. Mehrkosten für teurere Übernachtungen hinzunehmen gewesen. Umso wichtiger ist es für den Auftragnehmer, seine Anstrengungen zur Weiterführung der Arbeiten zu dokumentieren. Das kann etwa dadurch geschehen, dass Anfragen bei anderen Unternehmen gemacht werden und dokumentiert wird, dass alle angefragten Firmen keine freien Kapazitäten hatten bzw. keine Angebote geschickt haben.
Muss der Auftragnehmer eine Behinderungsanzeige an den Auftraggeber schicken?
Teilweise wird empfohlen, dass Auftragnehmer generell Behinderung wegen der Corona-Epidemie anmelden sollten. Solange es jedoch keine konkreten Beeinträchtigungen der Baustelle gibt, ist eine solche »allgemeine« Behinderungsanzeige unnötig. Wenn jedoch Mitarbeiter erkranken, Material nicht geliefert oder gar die Baustelle vom Auftraggeber gesperrt wird, ist eine Behinderungsanzeige zwingend notwendig.
In dem Schreiben muss der Auftragnehmer mitteilen, durch welche konkreten Umstände er in der Erbringung seiner Leistungen behindert ist. Im Falle einer Stilllegung der Baustelle oder aufgrund anderer Umstände aus dem Bereich des Auftraggebers (fehlende Vorleistungen, bauseits nicht geliefertes Material) muss der Auftragnehmer außerdem ausdrücklich klarstellen, dass er weiterhin leistungsbereit ist.
In § 6 Abs. 1 VOB/B steht zwar, dass eine Behinderungsanzeige nicht nötig ist, wenn dem Auftraggeber die hindernden Umstände und deren Auswirkung auf den Bauablauf bekannt sind. Das gilt aber nur für die Verlängerung der Bauzeit. Eine Entschädigung wegen Baustillstand oder fehlender Vorleistungen (§ 642 BGB) kann der Auftragnehmer nur verlangen, wenn er seine Leistungen ausdrücklich angeboten hat (§ 295 BGB), und der Auftraggeber dadurch in Annahmeverzug geraten ist.
Muss der Auftraggeber Stillstandskosten bezahlen, wenn seitens der Gesundheitsbehörde die Baustelle stillgelegt werden würde?
Wir gehen derzeit davon aus, dass der Auftraggeber in diesem Fall nicht in Annahmeverzug gerät, da der Auftragnehmer nicht leistungsbereit ist. Zwar steht in § 293 BGB, dass der Auftraggeber in Annahmeverzug kommt, wenn er die angebotene Leistung nicht annimmt. Warum der Auftraggeber die Leistung nicht annimmt, spielt nach der gesetzlichen Regelung keine Rolle. Während für den Schuldnerverzug in § 286 BGB ausdrücklich klargestellt wird, dass der Schuldner nicht in Verzug kommt, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat, fehlt für den Gläubigerverzug (Annahmeverzug) eine solche Einschränkung.
§ 297 BGB besagt aber, dass der Gläubiger nicht in (Annahme-)Verzug kommt, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Zeitpunkt der notwendigen Mitwirkungshandlung des Auftraggebers selbst außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Das wäre der Fall, wenn der Auftragnehmer mit der Weiterarbeit gegen eine behördliche Anordnung verstoßen würde. Wenn die Behörde die Baustelle stillgelegt, und dort niemand arbeiten darf, gibt es also keine Entschädigungspflicht, weil der Auftragnehmer nicht in der Lage wäre, die Leistungen zu erbringen und deshalb kein Annahmeverzug vorliegt.
Kann der Auftraggeber aus Vorsichtsgründen die Arbeiten unterbrechen lassen?
Eine Wohnungsbaugesellschaft überlegt derzeit, ob sie eine beauftragte Strangsanierung stoppt. Es besteht die Befürchtung, dass durch die Corona-Epidemie möglicherweise unabsehbare Störungen im Bauablauf entstehen und die aufgrund der Bauarbeiten umgesetzten Mieter nicht wieder in ihre Wohnungen zurückkehren können. Die Wohnungsbaugesellschaft möchte die Arbeiten am liebsten so lange verschieben, bis Klarheit über den weiteren Verlauf der Epidemie besteht.
Ohne ein behördlich angeordnetes Arbeitsverbot löst solche eine Unterbrechung der Arbeiten durch den Auftraggeber Entschädigungsansprüche des Auftragnehmers aus. Der Auftraggeber wäre verpflichtet, dem Auftragnehmer eine Entschädigung während der Zeit eines von ihm angeordneten Baustellenstillstandes zu bezahlen. Wir raten Auftraggebern daher davon ab, aus Vorsichtsgründen einen solchen Baustopp auszusprechen.
Zu der Entschädigungspflicht kommt noch ein Kündigungsrisiko hinzu. Es ist seit Jahren strittig, ob der Auftraggeber das Recht hat, Anordnungen bezüglich der Bauzeit zu treffen. Als das neue Bauvertragsrecht geschaffen wurde, welches zum 1.1.2018 in Kraft trat, wurde dieses Thema ebenfalls diskutiert, der Gesetzgeber hat sich aber entschlossen, hierzu nichts ins Gesetz zu schreiben.
Es gibt also kein solches Anordnungsrecht. Entweder der Auftragnehmer akzeptiert das Zutrittsverbot und respektiert den Willen des Auftraggebers, oder er müsste als Alternative dem Auftraggeber eine Frist setzen, ihm die Leistungen zu ermöglichen, und die Kündigung des Vertrages androhen (§§ 642, 643 BGB).
Fraglich ist, ob eine solche Kündigung berechtigt wäre. Grundsätzlich ist der Auftragnehmer zwar im Falle der unterlassenen Mitwirkungshandlung des Auftraggebers zur Kündigung berechtigt. Es könnte aber sein, dass die Gerichte im Falle der Corona-Epidemie eine Ausnahme machen und der Meinung sind, eine Kündigung würde gegen die Kooperationspflicht bzw. Treu und Glauben verstoßen.
Zumindest dann, wenn der Auftraggeber dem Auftragnehmer zusagt, die Stillstandskosten zu übernehmen, würden wir eine Kündigung des Auftragnehmers sehr kritisch sehen. Wenn allerdings der Auftragnehmer im Unklaren darüber bleibt, ob der Auftraggeber die Kosten des angeordneten Baustopps zeitnah übernehmen will, wird man dem Auftragnehmer nicht das Recht absprechen können, den Schwebezustand durch eine Kündigung zu beenden.
Wie wir die Entschädigung berechnet?
Wenn der Auftraggeber einen Baustopp anordnet, ohne dass eine behördliche Anordnung vorliegt, kann der Auftragnehmer Ansprüche sowohl nach § 642 BGB als auch nach § 2 Abs. 5 VOB/B geltend machen. Beruht die Unterbrechung der Arbeiten darauf, dass andere auf der Baustelle tätige Unternehmer Vorleistungen nicht erbringen, gibt es nur Entschädigungsansprüche nach § 642 BGB.
Bei der Ermittlung der Höhe der Entschädigung ist nach dem Gesetzestext die Dauer des Annahmeverzuges und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, andererseits aber auch, was der Auftragnehmer in Folge des Annahmeverzuges an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann (§ 642 Abs. 2 BGB). Einzelheiten sind in der Rechtsprechung umstritten. Jedenfalls ist ein Entschädigungsbetrag zu finden, der eine angemessene Abgeltung dafür darstellt, dass der Unternehmer seine Zeit, seine Arbeitskraft, seine Betriebsstoffe und -geräte auf ungewisse Zeit gerade für die Herstellung des Werkes zur Verfügung gehalten hat.
Eine abstrakte Schadensberechnung anhand der Allgemeinen Geschäftskosten und Baustellengemeinkosten für die verlängerte Bauzeit genügt nicht. Vielmehr muss in einer Art Bilanz konkret dargelegt werden, welche Differenz der Vermögenslage sich bei einem Vergleich des ungestörten mit dem verzögerten Bauablauf ergibt. Hierzu sind für den Gesamtzeitraum bis zur tatsächlichen Beendigung des Auftrags die erwarteten und die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben gegenüberzustellen (so OLG Frankfurt, IBR 2018, 554).
Selbst wenn die gem. § 642 Abs. 2 BGB maßgebliche vereinbarte Vergütung für den Unternehmer nicht auskömmlich sein sollte, beläuft sich seine Entschädigung zumindest auf die Höhe der Mehrkosten, die ihm durch den Mitwirkungsverzug entstanden sind.
Daraus folgt: Hat der Auftragnehmer die tatsächlichen Mehrkosten dargelegt und beansprucht er keinen Zuschlag zur Deckung seiner Allgemeinen Geschäftskosten und seines Gewinns, bedarf es keines weiteren Parteivortrags zur Kalkulation der Vergütung (so das Kammergericht, IBR 2018, 315). Anderer Ansicht ist allerdings das OLG München, welches meint, dass die Berechnung der Entschädigung auf der Basis der Urkalkulation erfolgen müsse. Die tatsächlichen Mehrkosten würden dabei nicht berücksichtigt (IBR 2018, 132).
Die Höhe eines Entschädigungsanspruchs aus § 642 Abs. 2 BGB umfasst auch die in der vereinbarten Vergütung enthaltene Anteile für Wagnis, Gewinn und Allgemeine Geschäftskosten (BGH, IBR 2017, 666). Gemeint sind damit Zuschläge auf die (tatsächlich oder kalkulatorisch ermittelten) Stillstandskosten, nicht aber eine fiktive »AGK-Unterdeckung«. Hierunter wird verstanden, dass der Auftragnehmer den Umsatz ermittelt, den er während des Baustillstandes gemacht hätte, und die hierin enthaltenen allgemeinen Geschäftskosten erstattet verlangt.
Begründet wird ein solches Verlangen damit, dass der Umsatz jedenfalls in dem betrachteten Zeitraum endgültig verloren gegangen ist, während die Kosten für den Geschäftsbetrieb weitergelaufen sind. In der Rechtsprechung wird die Erstattung einer solchen AGK-Unterdeckung abgelehnt, wenn der Unternehmer den Umsatz »nachholen« kann, also nur eine Verschiebung des Umsatzes in einen späteren Kalenderzeitraum vorliegt. Speziell in der aktuellen »Corona-Situation« könnte es aber sein, dass sich derartig viele Leistungen um Monate verschieben, dass die Kapazitäten der Unternehmen, die schon vor der Krise sehr gut ausgelastet waren, einfach nicht ausreichen, um Umsätze tatsächlich nachzuholen.
Im Unterschied zum Entschädigungsanspruch gemäß § 642 BGB kann ein Vergütungsanspruch wegen angeordneter Bauunterbrechung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur auf der Basis tatsächlich entstandener Stillstandskosten berechnet werden. Hier soll es auf die Kalkulation nicht ankommen (BGH, IBR 2009, 628).
Mehrkosten nach einer Wiederaufnahme der Arbeiten
Wenn die Arbeiten auf einer Baustelle für mehrere Wochen oder Monate unterbrochen waren, kann es neben den Stillstandskosten auch Mehrkosten nach einer Wiederaufnahme der Arbeiten geben. Zu denken ist hier etwa an Materialpreissteigerungen. Im Moment gehen wir davon aus, dass behördlich angeordnete Stilllegungen von Baustellen die Ausnahme bleiben werden.
Im überwiegenden Teil der Fälle werden Baustellen ins Stocken geraten, weil einzelne Unternehmer nicht leisten können, und deshalb andere Unternehmer auf der gleichen Baustelle in der Ausführung ihrer Leistungen behindert sind. Auch in solchen Fällen stehen den betroffenen Unternehmern grundsätzlich Entschädigungsansprüche gegen den Auftraggeber zu, allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur für den Zeitraum des Annahmeverzuges.
Mehrkosten können aber auch nach dem Ende des Annahmeverzuges Monate später entstehen. Für die Erstattung solcher Mehrkosten gibt es theoretisch § 6 Abs. 6 VOB/B als Anspruchsgrundlage. In der Regel wird der Auftraggeber aber die Behinderungen nicht zu vertreten haben (im Sinne eines Verschuldens). In den meisten Fällen ist der einzige Weg zur Durchsetzung solcher späteren Mehrkosten die Androhung der Vertragskündigung durch den Auftragnehmer. Dies belastet natürlich das Verhältnis zum Auftraggeber, aber durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bleibt dem Auftragnehmer häufig kein anderer Weg.
Quelle: Sonder-Newsletter Dieckert Recht und Steuern (berlin@dieckert.de)