Eigentlich hätte die nationale EMA-Fachtagung schon 2022 hier stattfinden sollen, wir wissen alle, warum wir uns erst jetzt treffen. Dafür ist die Freude auf das Treffen umso größer. Wir, der Vorstand der IG Historischer Elektromaschinenbau Leipzig e.V. (IG HEMB), freuen uns, Sie in unserer Heimatstadt begrüßen zu dürfen und möchten Ihnen Leipzig und ihre Geschichte aus der Sicht des Elektromaschinenbaus etwas näherbringen.
Bedeutende Messestadt
Im 12. Jahrhundert lag die Stadt »Lipz« – so der damalige Name von Leipzig – an der Kreuzung der Handelswege Via Regia und Via Imperii, der Grundstein für einen regen Fernhandel. Um 1450 wurden dann drei Märkte zu sogenannten Reichsmessen erhoben. Eine Reichsmesse war ein vom Kaiser des Heiligen Römischen Reiches an bestimmte Städte verliehenes Privileg, Märkte durchzuführen [1]. Die Warenströme auf die Messen wuchsen ständig. Später reisten die Händler – aufgrund der gleichbleibenden Warenqualität durch die industrielle Produktion – nur noch mit Produktmustern an und somit ging man 1895 zu den weltweit ersten Mustermessen über. Es etablierten sich eine jährliche Frühjahrs- und Herbstmesse.
Im Jahr 1920 eröffnete im Süden der Stadt die »Technische Messe« als ein ausschließlich für Messen geschaffenes Messegelände. Zur Frühjahrsmesse 1922 stellten erstmals im »Haus der Elektrotechnik« alle führenden Hersteller für Elektrotechnische Erzeugnisse aus (Bild 1). Nach dem 2. Weltkrieg blieben die Mustermessen ein wichtiges Drehkreuz im Ost-West-Handel. Nach dem Mauerfall eröffnete 1996 im Norden der Stadt ein neues Messegelände. Die großen Mustermessen waren Geschichte und wurden durch Fachmessen abgelöst.
Traditionelle Musik- und Instrumentenstadt
Die Namen Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, das Gewandhausorchester und der Thomanerchor sind fest mit der Stadt Leipzig verbunden.
Eher unbekannt ist der herausragende Ruf selbstspielender Musikinstrumente aus unserer Stadt. Ende des 19. Jahrhunderts gelang es, selbstspielende Klaviere zu bauen, die pneumatisch betrieben wurden. Die Steuerung erfolgte durch Notenrollen. Mit der Verbreitung des Elektromotors (Bild 2) wurde die benötigte Luft im elektrisch angetriebenen Blasebalg erzeugt.
Für Gasthäuser und Tanzsäle baute man sogenannte Orchestrions mit Blasinstrumenten und sogar Geigen. Es gab fast 100 Betriebe, welche sich mit der Herstellung solcher Instrumente befassten. Einer der bekanntesten war die Ludwig Hupfeld AG mit 800 Angestellten.
Die Elektromotoren hatten eine sehr spezielle und flache Bauform und waren mit Gleitlagern ausgestattet. Mindesten fünf Firmen produzierten diese Motoren und die dazugehörigen Regulierwiderstände (Bild 3). Ende der 1920er Jahre löste das Grammophon und das Radio die Orchestrions ab.
Bücher, Bücher, Bücher
Im Jahr 1825 bildete sich in Leipzig der Börsenverein der deutschen Buchhändler. Die Ziele waren u.a. die Abschaffung der Zensur, die Regelung des Urheberrechts und die Einführung fester Ladenpreise für Bücher. Zusammen mit der Stadt Leipzig und dem Königreich Sachsen wurde 1912 die Deutsche Bücherei gegründet. Nach dem 2. Weltkrieg entstand in Frankfurt am Main ein westdeutsches Pendant. Heute ist die Deutsche Bücherei ein Teil der Deutschen Nationalbibliothek.
Das Buchgewerbe war in Leipzig zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr leistungsfähig. Es werden zwischenzeitlich 980 Verlage und Buchhandlungen, 300 Druckereien, 170 Buchbindereien und über 30 Maschinenhersteller für die Graphische Industrie in den Verzeichnissen geführt. Zahlreiche Verlage bringen Fachbücher für die Elektrotechnik auf den Markt (Bild 4).
Aufstrebende Industriestadt
Leipzig liegt inmitten einer Auenlandschaft. Trockene Bebauungsflächen um die Stadt waren Mangelware. 1842 übernahm der Jurist Dr. Carl Heine die Feuchtgebiete westlich der Stadt und begann sie zu entwässern. Er siedelte gezielt Industriebetriebe an und erwarb immer neue Flächen. So entstanden bis 1890 auf den Fluren Lindenau, Plagwitz und Schleußig große Mischflächen aus Industrie- und Wohngebäuden.
Der größte Industriebahnhof Europas mit 37 Anschlussgleisen (Bild 5) zu den Industriebetrieben beruht ebenfalls auf der Vision von Heine [2]. Zu den Ansiedlungen gehörten der erste Versandhandel Mey & Edlich, die Landmaschinenfabrik Rudolph Sack und die Peniger Maschinenfabrik Unruh & Liebig AG (Bild 6). Die Einwohnerzahl von Plagwitz stieg von 127 (1835) auf 18.300 (1927). Zur Wende im Jahr 1989 waren rund 20.000 Menschen in Unternehmen allein in Plagwitz beschäftigt.
Im Norden und Osten der Stadt ließen sich weitere große Firmen nieder. Mit Adolf Bleichert & Co. bestimmte eine weltweit bekannte Seilbahnfirma das Stadtbild in Eutritzsch. 1925/26 baute man z. B. die erste Seilbahn auf die Zugspitze. Von nun an erreichte man von Ehrwald (Tirol) in 15 Minuten den Zugspitzkamm auf rund 2800 m Höhe.
In Sellerhausen befand sich Europas älteste und größte Galvanotechnikfabrik. Die 1907 gegründeten Langbein-Pfanhauser Werke AG (LPW) entwickelten sich schnell zum Vorreiter der Oberflächenbeschichtung. Produziert wurden alle von einer Galvanik benötigten Komponenten u.a. auch Elektromotoren und Niederspannungs-Dynamos. Für galvanische Prozesse werden Ströme bis 2000 A bei Spannungen von 4 … 15 V benötigt. LPW stellte diese Maschinen in großen Stückzahlen her.
Vorreiter für das Elektromaschinenbauer-Handwerk
Wie im gesamten Gebiet Deutschlands entstanden auch in unserer Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Reparaturfirmen für elektrische Maschinen. Otto Keucher gründete 1904 eine der ersten Werkstätten. Der Bedarf an Reparaturkapazitäten stieg durch die Industrialisierung der Wirtschaft schnell an. Im Jahr 1920 sind im Adressbuch sechs Hersteller, 13 Händler bzw. Ingenieurbüros und 15 Reparaturwerkstätten verzeichnet (Bild 7).
In diesem Jahr begann mit der Gründung des Relma-Verbandes der Deutschen Reparaturwerke elektrischer Maschinen e. V. ein neues Kapitel im Elektromaschinenbau-Handwerks. Der oben erwähnte Otto Keucher war neben anderen einheimischen Kollegen eines der ersten Mitglieder im Relma. Fritz Raskop, der Vorreiter für ein selbstständiges Handwerk mit eigener Berufsausbildung und Meisterprüfung, wohnte zeitweise in der Südvorstadt. (Ausführliche Informationen zu Fritz Raskop findne sich auch im Fachbeitrag »100 Jahre Fachinformationen für Elektromaschinenbauer« in »ema 7-8/2021«)
Während 1945 die großen Industriebetriebe den Reparationsleistungen an die Sowjetunion zum Opfer fielen, blieben die kleinen Reparaturbetriebe weitestgehend unangetastet. Nur eine kleine Anzahl wurde in eine Kommanditgesellschaft mit staatlicher Beteiligung umgewandelt.
Mit dem Ende des 2. Weltkrieges gab es auch Einschnitte in die Organisation des Handwerkes: die bisherigen Innungen wurden aufgelöst. Später entstand unter staatlicher Aufsicht eine sogenannte »Einkaufs- und Liefergenossenschaft des Elektrohandwerks«. Sie übernahm die Materialversorgung und die Betreuung der weiterhin selbständigen privaten Handwerksbetriebe (Bild 8). Die Mangelwirtschaft blieb der tägliche Begleiter der Handwerker.
Ab Mitte der 1950er Jahre wurden einige Betriebe in Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) zusammengeschlossen, doch schon 1972 gliederte man diese zum Teil in staatliche Betriebe und Kombinate ein. Das gleiche Schicksal erfuhren die Kommanditgesellschaften. Seit 1945 kam es nur zu einigen wenigen Neugründungen eines privaten Handwerksbetriebes. Durch Übernahmen blieben alte Firmen existent, weshalb die hiesige Berufsgruppe im Wendejahr noch 41 Selbstständige zählte.
Sofort nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden Kontakte zwischen den ost- und westdeutschen Elektromaschinenbauern geknüpft. Schon am 20. März 1990 fand die Gründungsversammlung der Elektro-Innung Leipzig statt.
Industriebauten nach 1990
Im Oktober 1989 begann auch in Leipzig eine neue Epoche. Ausgehend von den Demonstrationen der Bevölkerung folgte der Zusammenbruch der DDR. Neben den vielen guten Veränderungen gab es für die Betriebe gravierende Einschnitte. Über Nacht waren die Produkte für den Weltmarkt nicht mehr interessant. Aufgegebene Industriebauten wurden abgerissen oder es entstanden daraus Wohnungen. Die verbliebene Produktion wurde in gesichtslose Gewerbeflächen am Rande der Stadt verdrängt.
Aber es gibt auch andere Beispiele. 1991 gründete die Vopelius Chemie AG aus Fürth die Firma Galvanochemie Leipzig GmbH und übernahm Teile der Liegenschaften der ehemaligen Langbein & Pfanhauser Werke AG aus dem Baujahr 1926 von der Treuhand. Es entstanden in der alten Gebäudehülle moderne Produktionsanlagen (Bilder 9 und 10). Auch wenn dort keine elektrischen Maschinen mehr produziert werden, ist ein Stück Industriegeschichte Leipzigs dauerhaft mit Leben erfüllt.
Der Verein IG Historischer Elektromaschinenbau Leipzig e.V. (IG HEMB) wurde 2001 gegründet. Die Mitglieder unterstützen das Sammeln alter elektrischer Maschinen und Geräte, historischer Mess-, Prüf-, und Steuertechnik, Bücher, Schriften und Abbildungen. Es geht dabei um die Erhaltung und Bewahrung dieser Gegenstände und man hat sich zur Aufgabe gemacht, die im wahrsten Sinne des Wortes »spannungsreiche« Geschichte der elektrischen Maschinen und des Berufes der Elektromaschinenbauer zu ergründen. Ein ehemaliges Trafohaus beinhaltet die Schausammlung und hat nicht nur äußerlich eine Menge zu bieten. Über 1000 Exponate dokumentieren in diesem kleinen Museum die Geschichte der Elektromaschinen. Viele Exponate können in Betrieb genommen und manches selbst ausprobiert werden. Die Besichtigung ist in den Monaten März bis November nach telefonischer Absprache möglich.
(Quelle: Webseite des Vereins s. Seite 8, erster Abschnitt)
Quellenhinweise
Sollte es Probleme mit dem Download geben oder sollten Links nicht funktionieren, wenden Sie sich bitte an kontakt@elektro.net