Gesetze und Modelle
Zu allererst ist das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) zu nennen, mit dem der Rollout intelligenter Messsysteme stark beschleunigt und der Einbau von sicherer, standardisierter und interoperabler Technik vorangetrieben werden soll [1]. Die Verabschiedung des Gesetzes ist bis zum zweiten Quartal 2023 geplant. Weiterhin ist das Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur zur Integration von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen (bspw. private Ladepunkte, Wärmepumpen, Stromspeicher) und steuerbaren Netzanschlüssen nach § 14a EnWG [2] zu nennen. Netzbetreiber erhalten die Möglichkeit, bei Netzengpässen steuernd eingreifen zu können.
Bereits 2024 soll dieses Instrument für alle Verteilnetzbetreiber verpflichtend sein. Im Zielmodell »Dynamisches Steuern«, das spätestens 2029 erreicht werden muss, werden auf Basis von messtechnischen Echtzeitdaten über den aktuellen Netzzustand Steuerbefehle für flexible Verbrauchseinrichtungen wie Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen abgeleitet. Mit dem Universalbestellprozess nach BK6-22-128 hat die Bundesnetzagentur außerdem bereits massengeschäftstaugliche Prozesse für die Übermittlung dieser Steuerbefehle vom Netzbetreiber (oder auch Lieferanten) an den Messstellenbetreiber definiert, und mit dem Positionspapier zu energiewirtschaftlich relevanten Mess- und Steuerungsvorgängen (BK6-22-253) klargestellt, dass diese Daten über das Smart Meter Gateway als Teil eines intelligenten Messsystems übertragen werden müssen [3][4].
Netzbetreiber stehen unter Transformationsdruck
Es bleibt somit festzuhalten: Das Zielbild des zukünftigen Energiesystems wurde in den letzten Monaten hinsichtlich der Netzbetreiberbefugnisse und der digitalen Schnittstelle zum flexiblen Netznutzer deutlich geschärft, und die neuen oder präzisierten Rahmenbedingungen lösen einen direkten Handlungsbedarf bei allen beteiligten Akteuren und insbesondere dem Netzbetreiber aus.
Um die Herausforderungen aus Energie-, Verkehrs- und Wärmewende zu meistern, muss der Verteilnetzbetreiber die Transformation hin zu einem digitalisierten Netzbetrieb vorantreiben. Das Management von Flexibilitäten auf Basis einer umfassenden Digitalisierung der Verteilnetze gewinnt dabei an Bedeutung. Dies trifft verschiedene Themenbereiche, die eng miteinander verknüpft sind, wie in Bild 2 dargestellt ist.
Leistungsfähige und sichere Netztechnik
Die Netztechnik selbst wird digitaler. Zusätzlich zu konventionellen Netzbetriebsmitteln stehen dem Netzbetreiber verschiedene Werkzeuge bei der Weiterentwicklung zu einem Smart Grid zur Verfügung. Grundlage des zukünftigen Netzbetriebs ist eine umfangreiche Mess- und Steuerungstechnik. Neben netzbetreibereigenen Messungen, z. B. in Ortsnetzstationen und Abgängen, werden Messwerte aus dem intelligenten Messsystem die Beobachtbarkeit in den Niederspannungsnetzen deutlich erhöhen. Weiterhin stehen eine Vielzahl neuartiger Betriebsmittel wie regelbare Ortsnetztransformatoren, digitale Ortsnetzstationen oder fernsteuerbare Schalter für die Transformation der Verteilnetze zur Verfügung und werden zukünftig zum Standardportfolio gehören. Grundsätzlich muss die Übertragung von Mess- und Steuersignalen über ein performantes, zuverlässiges und sicheres Kommunikationsnetz erfolgen, was ebenfalls zu Handlungsbedarfen führt.
Umfangreiche Daten mit erhöhten Anforderungen
Die Digitalisierung der Netztechnik wird zukünftig zu deutlich mehr Daten – sprich: höheres Volumen, höhere Geschwindigkeit, höhere Vielfalt – beim Netzbetrieb führen. Neben Netzzustandsdaten aus proprietärer Messtechnik oder dem intelligenten Messsystem (Tarifanwendungsfall 10) wird auch die Ist-Einspeisung über Fernwirktechnik oder ebenfalls das intelligente Messsystem (Tarifanwendungsfall 9) erhoben. Steuersignale müssen aus der Netzleitstelle unter Nutzung des CLS-Management (Controllable Local System) an die Kundenanlage, z. B. an eine Steuereinheit, übertragen werden. Durch die strukturierte Erhebung, Prüfung, Analyse, Bewertung und Archivierung von Daten können vielfältige Potenziale im Netzbetrieb ausgenutzt werden.
Rasantes Wachstum der IT-Landschaft
Zur effizienten Nutzung der erhobenen Daten ist auch die Weiterentwicklung der IT-Landschaft erforderlich. Neben der Erweiterung der Leitstellensysteme zur Umsetzung von z. B. Redispatch 2.0 (Erzeugungsmanagement) oder Lastmanagement gemäß § 14 a EnWG werden auch Planungsprozesse wie der Netzanschlussprozess oder die Netzentwicklung über die Einführung von Netzplanungsplattformen automatisiert. Die IT-Landschaft wird grundsätzlich modularer, die Bausteine docken an zentrale Datenbestände (sogenannte Data Warehouses) an, um Redundanzen abzubauen. Auch die Kommunikation zu anderen Marktpartnern wird vielschichtiger und damit komplexer – z. B. herkömmliche Marktkommunikation, Connect+ für Redispatch 2.0, Web-API für den Universalbestellprozess.
Prozesse neue denken und entwickeln
Schlussendlich werden auch neue Prozesse und Fähigkeiten erforderlich, um die Beobachtbarkeit des Netzzustands, die Netzzustandsprognose oder die Ermittlung und Umsetzung von Steuermaßnahmen umsetzen zu können. Die Prozesse werden automatisierter, datengetriebener und abteilungs- und akteursübergreifender. Das Prozessmanagement und effiziente Dokumentation gewinnen deswegen stark an Bedeutung.
In einem Impulspapier »D2SO – auf dem Weg zum digitalen Verteilnetzbetreiber« wurde der notwendige und sinnvolle Entwicklungsbedarf anhand von 22 Themen skizziert, und mit einer Vielzahl Branchenexperten diskutiert [5]. Aktuell werden als Themen mit dem höchsten Transformationsdruck (Bild 3) die Herstellung von Transparenz über den Netzzustand, die Integration von Daten, die Einführung neuer Betriebskonzepte (Redispatch 2.0, Lastmanagement), die Weiterentwicklung der IT-Landschaft, die Definition des geeigneten Werkzeugkastens für das Smart Grid und der Rollout intelligenter Messsysteme gesehen.
Nächste Schritte für das Niederspannungsnetz
Gerade im Niederspannungsnetz muss der Digitalisierungsgrad in den nächsten Monaten und Jahren massiv steigen, um den Zubau an Ladeinfrastruktur, Wärmepumpen sowie Aufdach-PV-Anlagen beherrschen zu können. Hierzu gehören insbesondere folgende Maßnahmen:
- Die Niederspannungsnetzdaten müssen digitalisiert werden. Dies geht über die bereits in GIS (Geoinformationssystem) vorhandenen Datensätze hinaus. Vielmehr muss die Rechenfähigkeit der Niederspannungsnetze bis zum einzelnen Hausanschluss hergestellt werden, um die Aufnahmefähigkeit der Netze für neue Erzeuger und Verbraucher simulativ und automatisiert prüfen zu können.
- Weiterhin ist die Ausbringung von Messtechnik im Netz erforderlich. Neben Echtzeitmessung in Ortsnetzstationen sind für eine Netzzustandsbewertung (Netzzustandsschätzung) weitere Messungen in Abgängen, Kabelverteilerkästen oder aus dem an der Messstelle verbauten intelligenten Messsystemen erforderlich.
- Auf Basis von realitätsnahen Netz- und Messdaten können anschließend über geeignete Prognosewerkzeuge Netzzustandsprognosen erstellt werden, mit denen kurzfristige Engpässe Ex-Ante – also z. B. am Vortag – unter Unsicherheit prognostiziert werden können.
- Zur Behebung dieser Engpässe sind Algorithmen und Instrumente zur Ableitung von geeigneten Steuermaßnahmen (nach § 14a EnWG) anhand real gemessener Echtzeitdaten erforderlich. Die abgeleiteten Steuersignale werden über den Universalbestellprozess lang- oder kurzfristig vom Netzbetreiber an den Messstellenbetreiber übermittelt.
- Um die Steuersignale geeignet umsetzen zu können, ist außerdem die Ausbringung von geeigneter Steuertechnik (insbesondere Steuereinheiten beim Endkunden) und Anbindung über geeignete, das heißt zuverlässige, leistungsfähige und sichere Kommunikationstechnik erforderlich.
- Abschließend sind Steuermaßnahmen geeignet zu bilanzieren und abzurechnen. Für die Detailprozesse sind jedoch noch die Festlegungen der Bundesnetzagentur zur Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen abzuwarten.
Die Digitalisierung der Niederspannung beginnt im Zählerschrank
Wie dargestellt, ist das intelligente Messsystem der essenzielle Baustein der Digitalisierung der Niederspannungsnetze, da es sowohl Messdaten (bspw. Netzzustandsdaten, Ist-Einspeisung) liefert sowie Steuersignale sicher überträgt. Es besteht grundsätzlich aus einem Smart Meter Gateway (SMGW) als Kommunikationseinheit und einer oder mehrerer moderner Messeinrichtungen (mME). Für den Endkunden erhöht es die Transparenz über den Stromverbrauch, er kann seine Energiekosten z. B. über variable Tarife senken. Außerdem werden hiermit auch spartenübergreifende Messungen und somit effizientere Abrechnungsprozesse ermöglicht.
Der Austausch konventioneller Ferraris-Zähler gegen moderne Messeinrichtungen ist seit einigen Jahren gelebte Praxis im Elektrohandwerk. Das bestätigen auch die von der Bundesnetzagentur im Monitoringbericht 2022 veröffentlichten Zahlen. Zum Jahresbeginn 2022 waren bereits 14,5 Mio. der ca. 54 Mio. Messstellen mit einer modernen Messeinrichtung ausgestattet. Anders sieht dies beim Einbau der SMGW aus, die Anfang des Jahres 2022 deutschlandweit in weniger als 200 000 Haushalten installiert waren.
Nach VDE-AR-N 4100 ist das SMGW im Zählerschrank im Raum für Zusatzanwendungen (RfZ) zu installieren, welcher sich oberhalb eines Zählerplatzes befindet. Dieser Bereich ist für die Hardwarekomponenten im Besitz des Messstellenbetreibers bzw. des Netzbetreibers vorgesehen. Die im RfZ installierten Geräte erhalten ihre Stromversorgung aus dem ungezählten Bereich, dem netzseitigen Anschlussraum (NAR) und werden dort entsprechend abgesichert. Neben dem SMGW werden im RfZ auch die Steuereinheiten untergebracht – z. B. die FNN-Steuerbox, die u. a. zur Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen verwendet werden. Einsatzbeispiele hierfür wären Wärmepumpen oder Wallboxen.
Prosumer – die neuen Akteure im Niederspannungsnetz
Zukünftig werden viele Prosumer die Steueranweisungen des Netzbetreibers über ein hausinternes Energiemanagementsystem (EMS) in individuelle Steuerbefehle je steuerbare Verbrauchseinrichtung übersetzen. Das EMS kommuniziert via (W)LAN mit den einzelnen Flexibilitäten im Haushalt und optimiert deren Einsatzverhalten anhand der Komfortvorgaben des Kunden und, wenn vorhanden, anhand der dynamischen Strompreise des Lieferanten oder Leistungsvorgaben des Netzbetreibers (sogenannte Leistungshüllkurven). Hierfür wird ebenfalls der sichere Kommunikationskanal des SMWG genutzt. Für die Elektroinstallateure bedeutet dies, dass künftig nicht nur vermehrt Wärmepumpen und PV-Anlagen zu installieren sind, sondern auch, dass die Vernetzung dieser Anlagen über ein EMS zu realisieren ist. Weiterhin muss dieses an die HAN-Schnittstelle des SMGW (über eine Steuereinheit, zukünftig ggf. auch direkt) angebunden werden.
Je nach Alter des Zählerplatzes kann es erforderlich werden, dass vor dem Einbau eines intelligenten Messsystems zunächst ein Neubau des gesamten Zählerplatzes notwendig ist. Dieser ist nicht selten mit einer örtlichen Verlegung des Zählerschranks verbunden, um die Anforderungen aus den technischen Anschlussbedingungen (TAB) des Netzbetreibers und technischen Anschlussregeln einzuhalten. Die Kosten hierfür sind vom Endkunden zu tragen.
Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Pflichtrollouts nach GNDEW und der aktuellen Ausbauziele der Bundesregierung ist anzunehmen, dass bis 2030 etwa 20 Mio. Haushalte in Deutschland über ein intelligentes Messsystem verfügen. Dies bedeutet für das Elektrohandwerk, dass ab 2024 ca. 2,8 Mio. intelligente Messsysteme pro Jahr zu errichten sind.
Fazit
Zusammenfassend wird deutlich, dass die Digitalisierung der Energiewende durch die aktuelle Dynamik im rechtlichen und regulatorischen Rahmen massiv beschleunigt wird. Es besteht bereits jetzt kurzfristiger Handlungsbedarf für den Netzbetreiber, die Niederspannungsnetze zu digitalisieren, um die zukünftigen Anforderungen wie ein Flexibilitätsmanagement umsetzen zu können. Hierbei ist – wie aufgezeigt –ein ganzheitliches und gestuftes Vorgehen essenziell, damit die einzelnen Bausteine aus Technik, Software, Daten und Prozessen ein sinnvolles Zielbild ergeben. Außerdem kommen nun auch auf das Handwerk eine Vielzahl neuer Aufgaben zu. Die Anzahl der in den nächsten Jahren zu digitalisierenden Messstellen stellt eine ganz besondere Herausforderung dar.
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