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100 % Autarkie sind selten sinnvoll

Der (zu hohe) Preis der Unabhängigkeit

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Viele Jahre lang spielte das Thema Unabhängigkeit hierzulande so gut wie keine Rolle. Erst im Zuge des Ukraine-Krieges rückte es ins Zentrum der breiten Öffentlichkeit, als es darum ging, sich aus der Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten aus Russland zu lösen. Der Preis, den wir dafür in Euro zu zahlen hatten, war und ist hoch, etwa für das aus den USA stammende, per Fracking gewonnene Flüssiggas. Zu hoch scheint nach wie vor der Preis für ein Stück mehr Unabhängigkeit zu sein, indem wir die in Deutschland vorhandenen Gas-Vorkommen per Fracking erschließen würden.

Im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien will man ja die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern weiter reduzieren bzw. perspektivisch ganz abschaffen. Man sollte sich jedoch darüber im Klaren sein, dass dadurch im Prinzip nur neue Abhängigkeiten entstehen: statt der von fossilen Energieträgern die von kritischen Rohstoffen. Ohne Metalle wie Lithium oder seltene Erden fährt kein E-Auto, funktioniert keine Wärmepumpe und erzeugt kein PV-Modul Strom. Stark vereinfacht wird dabei die Abhängigkeit von Russland durch die von China ersetzt.

Ohne Abhängigkeiten wird es nicht gehen, da die Rohstoffe nicht gleichmäßig auf dem Planeten verteilt sind. Laut einer Schätzung der EU können in Europa nur rund 5 % des Bedarfs an kritischen Rohstoffen auf unserem Kontinent gefördert werden. Es gäbe zwar
(etwas) größere Vorkommen, deren mit hohem Aufwand und deutlichen Eingriff in die Landschaft verbundene Ausschöpfung ist aber aktuell weder finan­ziell noch gesellschaftlich umsetzbar.

Unabhängigkeit ist auch eines der gern genutzten Argumente, wenn es um die Installation von PV-Anlagen mit Speicher geht. Oft ist dann von einem so genannten »Autarkiegrad« die Rede, der angibt, zu wie viel Prozent sich der Kunde mit selbst erzeugtem bzw. gespeichertem PV-Strom versorgen kann. Fürs Verkaufsgespräch ist das sicher ein Argument, doch technisch gesehen ist der Begriff aus meiner Sicht Unsinn: Entweder ich bin autark oder eben nicht, die Abhängigkeit vom Energieversorger ist z. B. bei einem Autarkiegrad von 75 % nicht geringer geworden, ich brauche nach wie vor den gleichen Anschlusswert. Daher sollte man besser von ­Eigenverbrauchsquote sprechen. In der Theorie wäre natürlich eine 100-%-ige Autarkie möglich, doch die dafür erforderlichen Investitionen, auch bei einer Dunkelflaute unabhängig vom Energieversorger zu bleiben, sind utopisch.

Und eines kommt noch hinzu: Die konventionellen Autarkie-Berechnungen beziehen sich auf die Kombination PV-Anlage plus Speicher bei einem üblichen Haushaltsstromverbrauch. Kommen nun perspektivisch Wärmepumpe und / oder E-Auto hinzu, steigt der Stromverbrauch deutlich an, und damit ändern sich die Parameter für die Eigenverbrauchs-Berechnung. Gerade im Winter, bei geringer Eigenerzeugung, ist der Bedarf am höchsten, die Abhängigkeit vom Energieversorger nimmt also eher zu als ab. All das spricht nicht gegen derartige Lösungen, nur sollte man sich im Kleinen wie im Großen bewusst sein: Ohne Abhängigkeiten wird es nicht gehen, Lösungen mit Augenmaß sind allemal sinnvoller als ideologisch geprägte, radikale Ansätze.

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Dipl.-Ing. Andreas Stöcklhuber

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