Wir alle wissen, dass in Stuttgart gebaut wird. Bliebe dennoch die Frage, ob man es unbedingt bei einem »Provisorium« belassen muss. Die zahlreichen Bilder von Herrn Eitzenberger, die wir hier nur in einer Auswahl zeigen können, sprechen eine deutliche Sprache. Hinzu kommt, dass er sich als Elektrofachmann an den Betreiber gewendet und diesen auf die Mängel hingewiesen hat: »Da es sich um eine Beleuchtungsinstallation wohl in Abänderung einer zuvor vorhandenen Installation handelt, sind die entsprechenden Stromkreise mutmaßlich nicht durch einen RCD geschützt. (…) Mir ist schon vor einigen Monaten im zügigen Vorbeigehen aufgefallen, dass das alles eher merkwürdig aussieht. Nachdem ich einmal eine längere Wartezeit an der Haltestelle hatte, konnte ich es mir genauer ansehen und war schockiert darüber, was da gemacht wurde. Anhand des Verschmutzungsgrades vermute ich, dass sich die Anlage bereits seit vielen Monaten in diesem gemeingefährlichen Zustand befindet.«
Eine Antwort blieb der Betreiber bislang schuldig. Hier die wichtigsten Punkte in seiner Mängelliste, auf die sich auch unser Experte Werner Hörmann in seiner Antwort stützte:
- Ungeschützt freiliegende Adern, die mit der Hand erreichbar sind
- falsche Befestigung elektrischer Leitungen, wilde Befestigung mit Kabelbindern, Scheuerstellen an scharfen metallischen Kanten
- unbefestigte oder beschädigte Abzweigboxen u.a. mit fehlender Abdeckung, viel zu groß ausgeschnittene Kabeleinführungen mit Verletzung der Schutzart sowie unzählige Abzweigboxen, die in der Luft hängen und wo an den Seiten die einzelnen (isolierten) Adern bereits zum Vorschein kommen (Bild 1)
- völlig unzulässige Kabelbefestigung mit Kabelbindern an einem Gerüst
- bei einigen Abzweigkästen, die aufgrund ihrer Farbe offenbar dem Funktionserhalt dienen, wurde durch die hohe montagebedingte Zugbelastung der Kabel dieses bereits förmlich herausgerissen, einschließlich der Kabeleinführung (Bild 2).
Antwort des Experten
Freiliegende Adern
Nach Abschnitt 410.3.2 von DIN VDE 0100-410:2007-06 gilt: eine Schutzmaßnahme besteht aus- »einer geeigneten Kombination von zwei unabhängigen Schutzvorkehrungen, nämlich einer Basis- und einer Fehlerschutzvorkehrung, oder
- einer verstärkten Schutzvorkehrung, die den Basisschutz (Schutz gegen direktes Berühren) und den Fehlerschutz (Schutz bei indirektem Berühren) bewirkt.«
Falsche Befestigungen
Man kann eigentlich an keiner Stelle von einer normgerechten Kabelbefestigung sprechen. Selbst bei der unsachgemäßen Befestigung sind die maximal zulässigen Befestigungsabstände nach Tabelle 2 von DIN VDE 0100-520:2013-06 weit überschritten.Nach Abschnitt 522.8.11 von DIN VDE 0100-520:2013-06 gilt, dass nicht nur die metallischen, scharfen Kanten relevant sind. Vielmehr dürfen keine scharfen Kanten, die eine Beschädigung hervorrufen können, vorhanden sein. Auf den Bildern konnte ich aber solche scharfen Kanten nicht erkennen.
Unbefestigte Abzweigboxen
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass alle elektrischen Betriebsmittel ausreichend befestigt werden müssen. Allerdings gibt es hierzu keinen definitiven Bezug auf einen Normenabschnitt. Bezüglich der geforderten Schutzarten legt z.B. Abschnitt 522.3.1 von DIN VDE 0100-520:2013-06 fest: »Kabel- und Leitungsanlagen müssen so ausgewählt und errichtet werden, dass ein Schaden durch Kondensation oder Eindringen von Wasser nicht hervorgerufen wird. Die Kabel- und Leitungsanlagen müssen im errichteten Zustand die IP-Schutzart erfüllen, die für den jeweiligen Ort erforderlich ist.«Kabelbefestigung mit Kabelbindern
Dabei müssen natürlich auch die maximal zulässigen Befestigungsabstände eingehalten werden.
Farbe der Abzweigkästen
Eine Farbvorgabe gibt es für solche Abzweig- und Verbindungsdosen nicht. Nach Abschnitt 8.1 von DIN V VDE 0606-22-200:2013-10 gilt: »Jedes Gehäusesystem muss zusätzlich dauerhaft und nach der Installation lesbar mit folgenden Aufschriften versehen sein- die Funktionserhaltsklasse durch z.B. ‚E 30‘
- Angabe der VDE 0606-22-200.«
Schutz durch RCD
Zu Ihrem Hinweis, dass es sich bei der Beleuchtungsinstallation wohl um eine Abänderung einer zuvor vorhandenen Installation handelt und die entsprechenden Stromkreise mutmaßlich nicht durch einen RCD geschützt sind, möchte ich noch anmerken:Es gibt auch in den derzeit gültigen Normen keine Forderung, im TN-System die Beleuchtungsstromkreise mit RCDs mit einem Bemessungsdifferenzstrom nicht größer als 30 mA zu schützen, auch wenn das in solchen prägnanten Bereichen äußerst sinnvoll wäre.
Zusätzliche Bilder
Wie schon erwähnt: derzeit herrscht in Stuttgart eine große »Aufbruchstimmung«, im wahrsten Sinne des Wortes. Wer sich schon die enormen Baugruben direkt am Hauptbahnhof angesehen hat, der weiß, dass dort mit Sicherheit auch improvisiert werden muss. Ein öffentlicher Bereich (Bild 4) sollte jedoch immer weitestgehend den einschlägigen Bestimmungen entsprechen. Weitere Bilder von Herrn Eitzenberger finden Sie etwas weiter unten am Ende des Beitrags.Es soll aber auch ausdrücklich gesagt sein, dass die gezeigte Haltestelle nicht dem üblichen Zustand in Stuttgart entspricht. Der ist nämlich häufig vorbildlich. Entdecken Sie auch immer wieder befremdliche Arten von Elektroinstallationen während Ihrer täglichen Arbeit? Schicken Sie uns gerne Ihre Fotos in die Redaktion unter redaktion@elektro.net.
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