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Fehlgriffe in der Elektroinstallation

Elektroinstallation in einer unterirdischen Stadtbahn-Station

Bild 1: Hier sind die einzelnen Adern deutlich zu erkennen – 
die Abzweigdose hängt frei in der Luft
Bild 1: Hier sind die einzelnen Adern deutlich zu erkennen – die Abzweigdose hängt frei in der Luft
Der Leser Martin Eitzenberger sendete uns die Bilder mit diesem Kommentar: »Sieht man sich die elektrische Verkabelung bei den Baustellen rund um den Stuttgarter Hauptbahnhof an, gibt es da schon wilde Provisorien, bei denen man sich nur an den Kopf greifen kann. Die Situation an der Staatsgalerie setzt neue Maßstäbe was Pfusch angeht.«

Wir alle wissen, dass in Stuttgart gebaut wird. Bliebe dennoch die Frage, ob man es unbedingt bei einem »Provisorium« belassen muss. Die zahlreichen Bilder von Herrn Eitzenberger, die wir hier nur in einer Auswahl zeigen können, sprechen eine deutliche Sprache. Hinzu kommt, dass er sich als Elektrofachmann an den Betreiber gewendet und diesen auf die Mängel hingewiesen hat: »Da es sich um eine Beleuchtungsinstallation wohl in Abänderung einer zuvor vorhandenen Installation handelt, sind die entsprechenden Stromkreise mutmaßlich nicht durch einen RCD geschützt. (…) Mir ist schon vor einigen Monaten im zügigen Vorbeigehen aufgefallen, dass das alles eher merkwürdig aussieht. Nachdem ich einmal eine längere Wartezeit an der Haltestelle hatte, konnte ich es mir genauer ansehen und war schockiert darüber, was da gemacht wurde. Anhand des Verschmutzungsgrades vermute ich, dass sich die Anlage bereits seit vielen Monaten in diesem gemeingefährlichen Zustand befindet.«

Eine Antwort blieb der Betreiber bislang schuldig. Hier die wichtigsten Punkte in seiner Mängelliste, auf die sich auch unser Experte Werner Hörmann in seiner Antwort stützte:
  • Ungeschützt freiliegende Adern, die mit der Hand erreichbar sind
  • falsche Befestigung elektrischer Leitungen, wilde Befestigung mit Kabelbindern, Scheuerstellen an scharfen metallischen Kanten
  • unbefestigte oder beschädigte Abzweigboxen u.a. mit fehlender Abdeckung, viel zu groß ausgeschnittene Kabeleinführungen mit Verletzung der Schutzart sowie unzählige Abzweigboxen, die in der Luft hängen und wo an den Seiten die einzelnen (isolierten) Adern bereits zum Vorschein kommen (Bild 1)
  • völlig unzulässige Kabelbefestigung mit Kabelbindern an einem Gerüst
  • bei einigen Abzweigkästen, die aufgrund ihrer Farbe offenbar dem Funktionserhalt dienen, wurde durch die hohe montagebedingte Zugbelastung der Kabel dieses bereits förmlich herausgerissen, einschließlich der Kabeleinführung (Bild 2).

Antwort des Experten

Bild 2: Nach umfangreichen Analysen arbeitet die Produktion heute effizienter
Bild 2: Nach umfangreichen Analysen arbeitet die Produktion heute effizienter
Ich kann Ihnen nur voll zustimmen: So darf eine elektrische Anlage nicht errichtet werden. Insbesondere dann, wenn es sich um einen Bereich handelt, der der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich ist. Hier wurden an keiner Stelle die einschlägigen VDE-Bestimmungen eingehalten. Da Ihre Hinweise sehr ausführlich sind, habe ich mich darauf beschränkt, auf die wesentlichen Abschnitte in den Normen zu verweisen.

Freiliegende Adern

Nach Abschnitt 410.3.2 von DIN VDE 0100-410:2007-06 gilt: eine Schutzmaßnahme besteht aus
  • »einer geeigneten Kombination von zwei unabhängigen Schutzvorkehrungen, nämlich einer Basis- und einer Fehlerschutzvorkehrung, oder
  • einer verstärkten Schutzvorkehrung, die den Basisschutz (Schutz gegen direktes Berühren) und den Fehlerschutz (Schutz bei indirektem Berühren) bewirkt.«
Bild 3: Das mutet eher nach einem Schrottcontainer an – die abgeschnittenen und berührbaren Leitungen sind hoffentlich nicht mehr unter Spannung
Bild 3: Das mutet eher nach einem Schrottcontainer an – die abgeschnittenen und berührbaren Leitungen sind hoffentlich nicht mehr unter Spannung
In einigen Bereichen kann ein zusätzlicher Schutz durch eine RCD mit einem Bemessungsdifferenzstrom nicht größer als 30 mA not­wendig sein. Bei basisisolierten Leitern ist nur der Basisschutz gegeben. Daher muss der äußere Mantel der Kabel / Leitungen in die Abzweigdose eingeführt werden. Außerdem fehlt die im Abschnitt 526.6 von DIN VDE 0100-520:2013-06 geforderte Zugentlastung: »Anschluss- und Verbindungsstellen von Kabeln und Leitungen sind von mechanischer Beanspruchung zu entlasten. Zugentlastungsmittel müssen derart gestaltet sein, dass jegliche mechanische Beschädigung der Kabel, Leitungen oder Leiter vermieden wird.«

Falsche Befestigungen

Man kann eigentlich an keiner Stelle von einer normgerechten Kabelbefestigung sprechen. Selbst bei der unsachgemäßen Befestigung sind die maximal zulässigen Befestigungsabstände nach Tabelle 2 von DIN VDE 0100-520:2013-06 weit überschritten.

Nach Abschnitt 522.8.11 von DIN VDE 0100-520:2013-06 gilt, dass nicht nur die metallischen, scharfen Kanten relevant sind. Vielmehr dürfen keine scharfen Kanten, die eine Beschädigung hervorrufen können, vorhanden sein. Auf den Bildern konnte ich aber solche scharfen Kanten nicht erkennen.

Unbefestigte Abzweigboxen

Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass alle elektrischen Betriebsmittel ausreichend befestigt werden müssen. Allerdings gibt es hierzu keinen definitiven Bezug auf einen Normenabschnitt. Bezüglich der geforderten Schutzarten legt z.B. Abschnitt 522.3.1 von DIN VDE 0100-520:2013-06 fest: »Kabel- und Leitungsanlagen müssen so ausgewählt und errichtet werden, dass ein Schaden durch Kondensation oder Eindringen von Wasser nicht hervorgerufen wird. Die Kabel- und Leitungsanlagen müssen im errichteten Zustand die IP-Schutzart erfüllen, die für den jeweiligen Ort erforderlich ist.«

Kabelbefestigung mit Kabelbindern

Bild 4: Nicht gerade der »place to be« – die betreffende Stadtbahnstation im Überblick
Bild 4: Nicht gerade der »place to be« – die betreffende Stadtbahnstation im Überblick
Kabelbinder zur Befestigung von Kabeln oder Leitungen sind nicht grundsätzlich verboten, sofern sie der jeweiligen Betriebsmittelnorm entsprechen. Für Kabelbinder gibt es z.B. die DIN EN 62275 (VDE 0604-201). Im Abschnitt 3.1 ist dazu folgende Begriffsbestimmung enthalten: »Band oder Werkstoffstreifen mit einem Verschlussmechanismus, das/der zum Bündeln oder Binden von Gruppen von Kabeln und/oder Leitungen, zum Befestigen und/oder Tragen der Kabel und/oder Leitungen verwendet wird.«

Dabei müssen natürlich auch die maximal zulässigen Befestigungsabstände eingehalten werden.

Farbe der Abzweigkästen

Eine Farbvorgabe gibt es für solche Abzweig- und Verbindungsdosen nicht. Nach Abschnitt 8.1 von DIN V VDE 0606-22-200:2013-10 gilt: »Jedes Gehäusesystem muss zusätzlich dauerhaft und nach der Installation lesbar mit folgenden Aufschriften versehen sein
  • die Funktionserhaltsklasse durch z.B. ‚E 30‘
  • Angabe der VDE 0606-22-200.«
Einen völlig inakzeptablen Zustand sehen wir übrigens noch in Bild 3. Hier sind abgezwickte Leitungen zu erkennen, die hoffentlich nicht mehr unter Spannung stehen.

Schutz durch RCD

Zu Ihrem Hinweis, dass es sich bei der Beleuchtungsinstallation wohl um eine Abänderung einer zuvor vorhandenen Installation handelt und die entsprechenden Stromkreise mutmaßlich nicht durch einen RCD geschützt sind, möchte ich noch anmerken:

Es gibt auch in den derzeit gültigen Normen keine Forderung, im TN-System die Beleuchtungsstromkreise mit RCDs mit einem Bemessungsdifferenzstrom nicht größer als 30 mA zu schützen, auch wenn das in solchen prägnanten Bereichen äußerst sinnvoll wäre.

Zusätzliche Bilder

Wie schon erwähnt: derzeit herrscht in Stuttgart eine große »Aufbruchstimmung«, im wahrsten Sinne des Wortes. Wer sich schon die enormen Baugruben direkt am Hauptbahnhof angesehen hat, der weiß, dass dort mit Sicherheit auch improvisiert werden muss. Ein öffentlicher Bereich (Bild 4) sollte jedoch immer weitestgehend den einschlägigen Bestimmungen entsprechen. Weitere Bilder von Herrn Eitzenberger finden Sie etwas weiter unten am Ende des Beitrags.

Es soll aber auch ausdrücklich gesagt sein, dass die gezeigte Haltestelle nicht dem üblichen Zustand in Stuttgart entspricht. Der ist nämlich häufig vorbildlich. Entdecken Sie auch immer wieder befremdliche Arten von Elektroinstallationen während Ihrer täglichen Arbeit? Schicken Sie uns gerne Ihre Fotos in die Redaktion unter redaktion@elektro.net.
 
Über den Autor
hoermann
Werner Hörmann

Gelernter Starkstrommonteur und dann viele Jahre als Projektant für Schaltan­lagen und Steuerungen bei Siemens tätig. Aktive Normung in verschiedenen Komitees und Unterkomitees der DKE. Seine Spezialgebiete sind u. a. die Er­richtungsbestimmungen nach DIN VDE 0100 (VDE 0100) – insbesondere Schutz gegen elektrischen Schlag –, die Niederspannungs-Schaltanlagen nach DIN EN 60439 (VDE 0660-500 bis -514) oder das Ausrüsten von elektrischen Maschinen nach DIN EN 60204-1 (VDE 0113-1). Werner Hörmann ist Verfasser zahlreicher Beiträge in der Fachzeitschrift »de« sowie Autor diverser Fachbücher.

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