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Weiterentwicklung der Zündschutzart »Druckfeste Kapselung«

Schaltschränke für den Ex-Bereich

Auf einen Blick Größere Gehäuse Mit einer neuen Lösung sind nun deutlich größere Schaltschränke für den Bereich »Druckfeste Kapselung« möglich

Dünnere Wände Gegenüber bisher 10…20 mm reichen bei den neuen Gehäusen Wandstärken von rund 3mm aus
Die Zündschutzart »Druckfeste Kapselung« wurde bereits vor über 100 Jahren als eine der ersten Methoden zur Vermeidung von Schlagwetterexplosionen im untertägigen Bergbau entwickelt. Seit mehreren Jahrzehnten wird sie auch mit Erfolg außerhalb des Bergbaus zur sicheren Vermeidung von Gasexplosionen in der chemischen, petrochemischen und pharmazeutischen Industrie sowie in der Förderung von Erdöl und Erdgas angewendet.

Elektrische und elektronische Komponenten und Geräte bergen im ursprünglichen Zustand betriebsmäßig oder fehlerbedingt eine Reihe von potenziellen Zündquellen, die einen Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen nicht zulassen. Baut man diese Betriebsmittel aber in ein ausreichend festes Gehäuse ein, das in der Lage ist, ohne Zerstörung dem Druck einer inneren Explosion zu widerstehen, so kann man sie auch in den genannten sicherheitskritischen Industriebereichen einsetzen.

Weitere konstruktive Maßnahmen betreffen sämtliche durch die Gehäusewandung verlaufenden Spalten: Diese müssen so beschaffen sein, dass sie passierenden Flammen oder heißen Gasen ausreichend Energie entziehen und somit die Zündung eines äußeren explosionsfähigen Gemisches unmöglich gemacht wird (zünddurchschlagsichere Spalte). Außerdem muss man durch geeignete technische Maßnahmen dafür sorgen, dass die Temperaturen der äußeren Gehäuseoberflächen unter den Zündtemperaturen eines solchen gefährlichen Gemisches liegen. Die technischen Anforderungen an die Zündschutzart definiert der internationale Standard IEC 60079 Teil 1. Die dort gebräuchliche Kennzeichnung lautet »Ex d«.

»Druckfeste Kapselung« ist weit verbreitet

Eine Recherche in der Online-Datenbank des internationalen Zertifizierungssystems IECEx ergab, dass gegenwärtig rund 43 % aller IECEx-Zertifikate auf dieser Zündschutzart basieren. Damit ist sie führend in der weltweiten Anwendung. Im Geltungsbereit der Europäischen Richtlinie Atex 2014/34/EU dürfte der Anteil annähernd so hoch sein. Die weite Verbreitung der »Druckfesten Kapselung« in der Welt des Explo­sionsschutzes lässt sich darauf zurückführen, dass man mit ihr auf relativ einfache Art und Weise nahezu sämtliche elektrische Betriebsmittel für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen ertüchtigen kann. Die Zündschutzart ist sehr robust und zuverlässig, und ihre Sicherheit kann durch einfache Wartungsmaßnahmen für eine lange Betriebszeit erhalten werden.
Quelle: R. Stahl
Quelle: R. Stahl
Diesen Vorteilen stehen aber auch einige gravierende Nachteile gegenüber: Ab einer gewissen Gehäusegröße werden druckfest gekapselte Betriebsmittel sehr schwer und klobig. Der Grund dafür ist im hohen Explo­sionsdruck zu finden, den die druckfesten Kapselungen im Fall der Zündung einer eingedrungenen explosionsfähigen Atmosphäre auffangen müssen. Je nach der Größe und Geometrie des inneren Volumens der druckfesten Kapselung, der Zusammensetzung der entzündeten explosionsfähigen Atmosphäre und der Lage der Zündquelle können dabei Explosionsdruckspitzen im Bereich von 8…15 bar auftreten. Die Folge davon sind häufig sehr hohe Installations- und Betriebskosten, da die tragenden Anlagen und Gebäudeteile entsprechend stabil und großzügig gestaltet werden müssen.

Betrachtet man umfangreichere Steuerungen und Verteilungen, die man für sichere Industriebereiche ohne besondere Aufwände in ausreichend große Schaltschränke einbauen kann, ergibt sich ein weiterer empfindlicher Nachteil der herkömmlichen Technik: Die erforderliche Druckfestigkeit der Gehäuse bedingt hohe Wandstärken im Bereich von 10…20 mm. Dadurch wird eine wirtschaftlich und technisch sinnvolle Baugröße auf Gehäusevolumen von maximal etwa 500 l beschränkt.

Große und komplexe elektrische Steuerungen und Verteilungen müssen daher auf verschiedene kleinere druckfest gekapselte Gehäuse aufgeteilt werden, die man miteinander kombiniert. Die Projektierung und Herstellung solcher Gehäusekombinationen ist wesentlich komplizierter und zeitaufwendiger als die von herkömmlichen Industrie-Schaltschränken. Die notwendigen elektrischen Verbindungen zwischen den verschiedenen Ex-d-Gehäusen erfolgen durch zünddurchschlagsichere Leitungsdurchführungen, die wegen der notwendigen Explosionsschutz­anforderungen in der Herstellung und Installation relativ aufwendig sind. Die gesamte Gehäusekombination muss aufwendig auf spezielle Traggestellen montiert werden.

Nicht nur die Projektierung und Herstellung solcher für explosionsgefährdete Bereiche geeigneter Steuerungen und Verteilung sind daher sehr zeit- und kostenintensiv, sondern auch der Betrieb, die Wartung und Instandsetzung. Nachträgliche Änderungen an der inneren elektrischen Verdrahtung führen somit zwangsläufig zu umfangreichen, zeitraubenden und teuren Umbaumaßnahmen, die in der Regel vor Wiederinbetriebnahme durch Ex-Sachverständige abgenommen werden müssen.

Neue Lösung: Druckentlastung

Bild 2: Die Seitenwände mit durchlässigen Druckentlastungselementen sind auf der Außenseite durch Berstscheiben verschlossen und gemäß IP66 geschützt
Bild 2: Die Seitenwände mit durchlässigen Druckentlastungselementen sind auf der Außenseite durch Berstscheiben verschlossen und gemäß IP66 geschützt
Zur Beseitigung der oben beschriebenen Nachteile und Einschränkungen der Technik beschäftigt man sich seit einigen Jahren mit modernen Leichtbauprinzipien. Unter anderem wurden auch zahlreiche Versuche mit verschiedenen porösen Materialien durchgeführt. Ziel dieser Versuche war es, effiziente und sichere Möglichkeiten zu finden, mit denen die Wirkung der zünddurchschlagsicheren Spalte multipliziert werden konnte und sich dadurch ein deutlich erhöhter und schnellerer Druckabbau nach einer erfolgten inneren Explosion ergab. Ein erster Meilenstein war die Entwicklung und Patentierung eines Druckentlastungselementes aus porösem gesintertem Material. Mit diesem Element, das bereits 2015 eine Atex-Zertifizierung bekam, konnte eine Druckreduzierung von bis zu 30 % gegenüber herkömmlichen druckfesten Gehäusen erzielt werden.

Darauf aufbauend setzte R. Stahl in enger Zusammenarbeit mit namhaften deutschen Hochschulen, sowie den beiden führenden deutschen Prüfstellen PTB und Dekra Exam die Suche nach noch besser geeigneten Materialien fort. Am Ende kristallisierte sich ein spezielles Drahtgittergewebe heraus, das speziell für den Zweck einer zünddurchschlagsicheren, effizienten Druckentlastung entwickelt wurde.

Das aus feinen Edelstahldrähten gewebte Metallgitter wird in mehreren übereinanderliegenden Schichten aufgebaut (Bild 1). Jede dieser Schichten wurde durch zahlreiche Versuche hinsichtlich ihrer geometrischen und technologischen Parameter wie Drahtstärke, Maschenweite und Webart optimiert. Die verschiedenen Schichten wiederum werden zu einem stabilen Verbund versintert. Das fertige Drahtgittergewebe weist neben der Zünddurchschlagfestigkeit eine hohe Gasdurchlässigkeit, mechanische Festigkeit und Wärmekapazität bei einer relativ geringen Wärmeleitfähigkeit auf und eignet sich daher sehr gut für eine Integration in druckfest gekapselte Gehäuse. Es kann mit spe­ziellen Verfahren sowohl in Aluminiumgussgehäuse eingegossen als auch in Edelstahlgehäuse eingeschweißt werden.
Bild 3: Im Falle einer Explosion im Gehäuse öffnen sich die Berstscheiben; die Gitterelemente darunter lassen den Druck dann sicher nach außen entweichen
Bild 3: Im Falle einer Explosion im Gehäuse öffnen sich die Berstscheiben; die Gitterelemente darunter lassen den Druck dann sicher nach außen entweichen
Als optimal hat sich ein Verhältnis zwischen gasdurchlässigen Flächen und geschlossenen Seitenwänden von 10…15 % herausgestellt. Kommt es zur Zündung einer explosionsfähigen Atmosphäre im Inneren eines so präparierten Gehäuses, wird die freigesetzte chemische Energie sehr schnell und effizient abgebaut. Dabei werden unterschiedliche physikalische Effekte wirksam, die an dieser Stelle nur sehr vereinfacht dargestellt werden können. Das gasdurchlässige Gewebe ermöglicht einen raschen Druckabbau nach außen. Dabei wird, je nach Lage der Zündquelle im Druckraum, auch ein gewisser Teil des unverbrannten Gas-Luft-Gemisches herausgedrückt und kann so nicht explosionswirksam werden. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der entstehenden Reaktionswärme wird aber auch von der Gitter-Luft-Struktur des Drahtgewebes aufgenommen und steht somit zum inneren Druckaufbau nicht zur Verfügung.

Das Ergebnis: Misst man in einem gleich großen herkömmlichen Ex-d-Gehäuse Spitzendrücke von etwa 10 bar, so liegt der gemessene Spitzendruck in den neuen Gehäusen lediglich bei Werten weit unter 1 bar. Durch eine geeignete Anordnung konnte auch sicher verhindert werden, dass die äußere Oberfläche der Gitterschichten auf Temperaturen über den für die Temperaturklasse T4 zulässigen Wert erhöht werden.

Zur Sicherstellung des Funktionierens der neuen Lösung unter den unterschiedlichen harten Umgebungsbedingungen wie Verschmutzung oder Vereisung ist ein guter Schutz dieser außenliegenden Gitteroberflächen erforderlich. Dies wird durch die Montage von herkömmlichen Berstscheiben ermöglicht, die im Normalbetrieb eine IP-Schutzart 66 gewährleisten (Bild 2), im Explosionsfall sich aber bei einem Solldruckwert von 0,1 bar öffnen und so dem ausströmenden Gas den Weg ins Freie ebnen (Bild 3).

Wandstärke 3 mm

Bild 4: Ex-d-Gehäuse mit massiven Wänden (links) versus »Expressure«-Konstruktion mit in Blau markierten Druckentlastungselementen (rechts) – bei gleichen Abmessungen sorgt die neue Lösung für mehr Installationsraum bei geringerem Gehäusegewicht (Größenverhältnisse nur schematisch und beispielhaft dargestellt)
Bild 4: Ex-d-Gehäuse mit massiven Wänden (links) versus »Expressure«-Konstruktion mit in Blau markierten Druckentlastungselementen (rechts) – bei gleichen Abmessungen sorgt die neue Lösung für mehr Installationsraum bei geringerem Gehäusegewicht (Größenverhältnisse nur schematisch und beispielhaft dargestellt)
Die geschilderte Druckreduzierung eröffnet neue Möglichkeiten für die Gestaltung druckfest gekapselter Gehäuse. Die unter dem Markennamen »Expressure« von R. Stahl entwickelten Gehäuse kommen mit Wandstärken von rund 3mm aus. Damit sind sie nicht mehr weit von den entsprechenden Maßen der Industrieschaltschränke entfernt. Dies wirkt sich deutlich auf das Gewicht und die Kompaktheit der Bauweise aus. Vergleichende Beispielberechnungen ergaben so Einsparungen von ca. 30 … 50 % beim Gewicht und 25 % bei den äußeren Abmessungen gegenüber herkömmlichen Schaltgerätekombinationen. Dies ist insbesondere relevant, wenn es um eng gepackte Installationen im Offshore-Bereich geht.

Andererseits ist es jetzt auch möglich, druckfest gekapselte Schaltschränke mit sehr großen Abmaßen zu bauen. Der größte derzeit verfügbare »Expressure«-Schrank hat eine Höhe von 1400 mm bei einer Breite von 1000 mm und einer Tiefe von 700 mm. Noch größere Schrankabmaße sind geplant. Damit wird die Projektierung aus den oben geschilderten Gründen deutlich erleichtert. Brauchte man mit der herkömmlichen Technik noch die Kombination mehrerer Gehäuse zur Aufnahme komplexer Steuerungen und Verteilungen, so kommt man jetzt in der Regel mit einem einzigen Gehäuse aus. Große Betriebsmittel wie z. B. Transformatoren oder Frequenzumformer, die man bislang entweder gar nicht oder nur mit sehr viel Aufwand für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen ertüchtigen konnte, können jetzt sicher in die großvolumigen Gehäuse eingebaut werden.

Die Atex- und IECEx-Zertifizierung wurde bei den beiden namhaften deutschen Prüfstellen parallel durchgeführt. Für die ersten vier Gehäusegrößen liegen die notwendigen Zertifikate bereits vor. Für den Atex-Bereich konnten unter Inanspruchnahme des Anhangs II der Richtlinie 2014/34/EU reine Ex-d-Zertifikate ausgestellt werden (dieser Anhang ermöglicht bewusst innovative Lösungen, die noch nicht 100 % in den relevanten harmonisierten Normen enthalten sind). Für die IECEx-Zertifikate wurden sowohl die Norm IEC 60079-1 als auch die Norm IEC 60079-33: Sonderschutz verwendet. Beide genannten Prüfstellen wirkten dabei als die zwei von der 60079-33 geforderten »Unabhängigen Gutachter« (»Independent verifier«).
Buchtipp
Elektroinstallationen im Ex-Bereich Von André Croissant, 296 Seiten, Softcover, 41,80 €, 1. Auflage 2018, ISBN 978-3-8101-0444-1, E-Book/PDF: ISBN 978-3-8101-0445-8

Dieses Buch beschreibt die Vorgehensweisen zur Errichtung und Instandhaltung elektrischer Betriebsmittel und Geräte in explosionsgefährdeten Bereichen. Es enthält neben ­aktuellen Aussagen zur DIN EN 60079 alle aktuellen Änderungen, die für das Betreiben, Errichten und Instandhalten elektrischer ­Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen wesentlich sind, sowie alle relevanten Gesetze und Verordnungen.

www.elektro.net/shop

Fazit

Mit »Expressure« gibt es nun eine neue Technologie für Schaltgeräte, Schaltschränke und Verteilungen, aber auch andere elektrische Betriebsmittel wie Leuchten oder Prozessanalysetechnik. Die Gehäusekonstruk­tion mit Druckentlastungselementen bietet zahlreiche Vorteile für Maschinen-, Apparate- und Anlagenbauer, aber auch Betreiber von Prozessanlagen mit explosionsgefährdeten Bereichen. Durch die Anwendung moderner Leichtbauprinzipien und Technolo­gien und die Verwendung neuartiger Werkstoffkombinationen gelang es, viele Nachteile der bisherigen druckfesten Kapselung zu beseitigen und somit einen deutlichen Zuwachs an Kundennutzen zu erzielen (Bild 4).
Über den Autor
Autorenbild
Prof. Dr.-Ing. Thorsten Arnhold

VP Strategy & Technology bei R. Stahl und Chairman des IECEx-Systems

Über die Firma
R. STAHL Aktiengesellschaft
Waldenburg
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