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Praxisfrage

RCD-Anlagenschutz im TT-System

Im TT-Netz ist es erforderlich, im Endstromkreis eine RCD zu installieren, um die Abschaltzeiten von 200 ms einzuhalten. Wie verhält es sich jedoch im Verteilerstromkreis? Hier sollte der Fehler innerhalb von 1s abgeschaltet werden. Da ich dies bei einem Erdungswiderstand von 10 Ω nicht erreichen kann, wäre es notwendig, den Verteilerstromkreis mit einer selektiven 300-mA-RCD abzusichern. In der Praxis habe ich eine solche Lösung bisher jedoch noch nicht gesehen.

C. M., Bayern

Expertenantwort vom 05.11.2024
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Werner Hörmann

Gelernter Starkstrommonteur und dann viele Jahre als Projektant für Schaltan­lagen und Steuerungen bei Siemens tätig. Aktive Normung in verschiedenen Komitees und Unterkomitees der DKE. Seine Spezialgebiete sind u. a. die Er­richtungsbestimmungen nach DIN VDE 0100 (VDE 0100) – insbesondere Schutz gegen elektrischen Schlag –, die Niederspannungs-Schaltanlagen nach DIN EN 60439 (VDE 0660-500 bis -514) oder das Ausrüsten von elektrischen Maschinen nach DIN EN 60204-1 (VDE 0113-1). Werner Hörmann ist Verfasser zahlreicher Beiträge in der Fachzeitschrift »de« sowie Autor diverser Fachbücher.

DIN VDE 0100-410, DIN 18015-1, NAV und DKE-Homepage

Abschaltzeiten in Hauptstromversorgungssystemen

Zu Ihrer Aussage der »(…) Abschaltzeiten von 200 ms (…)« gilt, dass die 200 ms nach Abschnitt 411.3.2.2 von DIN VDE 0100-410:2018-10 nicht allgemein gefordert werden. Diese Forderung gilt nur für folgende Endstromkreise: »Die in Tabelle 41.1 angegebenen maximalen Abschaltzeiten müssen angewendet werden für Endstromkreise mit einem Nennstrom nicht größer als

  • 63 A mit einer oder mehreren Steckdosen, und
  • 32 A, die ausschließlich fest angeschlossene elektrische Verbrauchsmittel versorgen«.

Für Verteilungsstromkreise gilt nach DIN VDE 0100-410, wie Sie auch ausgeführt haben, aber Folgendes: »In TT-Systemen ist eine Abschaltzeit nicht länger als 1 s für Verteilungsstromkreise und für nicht unter 411.3.2.2 fallende Stromkreise erlaubt.«

Somit ergibt sich aber auch, aufgrund der Forderung nach einer Abschaltzeit von 1s, dass der Schutz durch automatische Abschaltung im Stromkreis zwischen Zählerplatz und Wohnungsverteiler beim TT-Systemen eigentlich nur durch eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) erreicht werden kann.

In der grau schattierten nationale Festlegung gibt es zwar Alternativen, wann von der Abschaltzeit 1 s abgewichen werden darf, ­Zitat: »Abweichend von den Abschaltzeiten nach 411.3.2 ist es in Verteilungsnetzen, die als Freileitungen oder als im Erdreich verlegte Kabel ausgeführt sind, sowie in Hauptstromversorgungssystemen nach DIN 18015-1 mit der Schutzmaßnahme ‚Doppelte oder verstärkte Isolierung‘ nach 412 ausreichend, wenn am Anfang des zu schützenden Leitungsabschnittes eine Überstrom-Schutzeinrichtung vorhanden ist und wenn im Fehlerfall mindestens der Strom zum Fließen kommt, der eine Auslösung der Schutzeinrichtung unter den in der Norm für die Überstrom-Schutzeinrichtung für den Überlastbereich festgelegten Bedingungen (großer Prüfstrom) bewirkt.«

Bei den Stromkreisen vom Zählerplatz zu den Verteilern handelt es sich weder um

  • eine Freileitung
  • noch um ein in der Erde verlegtes Kabel
  • noch um ein Hauptstromversorgungs­system.

Ich möchte darauf hinweisen, dass nach Abschnitt 6.3 von DIN 18015-1 ganz bestimmte Anlagenteile als Hauptstromversorgungssysteme gelten. Konkret werden hier die Hauptleitungen und Betriebsmittel hinter der Übergabestelle (Hausanschlusskasten) des Verteilungsnetzbetreibers (VNB) genannt, die nicht gemessene elektrische Energie führen.

Daraus muss geschlossen werden, dass die Verteilungsstromkreise bis zu den Verteilern nicht von der Erleichterung betroffen sind. Somit bleibt die automatische Abschaltung in maximal 1 s – auch wenn es schmerzt – gefordert. Allerdings gibt es seit einiger Zeit eine geänderte Situation: Am 11.1.2021 wurde auf der DKE-Homepage eine Verlautbarung mit dem Titel »Schutz gegen elektrischen Schlag durch automatische Abschaltung der Stromversorgung« veröffentlicht, siehe: www.dke.de/de/arbeitsfelder/core-safety/normenhinweise/verlautbarung-zu-din-vde-0100-410.

In dieser Verlautbarung sind mögliche Vorgehensweisen für Verteilungsstromkreise aufgeführt: »Abweichend von den Abschaltzeiten nach 411.3.2 darf für

  • Verteilungsstromkreise, die Bestandteil eines Hauptstromversorgungssystems nach DIN 18015-1 sind, sowie
  • Verteilungsstromkreise, die an einer Unterverteilung enden,

die Schutzmaßnahme »Doppelte oder verstärkte Isolierung« nach 412 angewendet werden, wenn am Anfang des zu schützenden Leitungsabschnittes eine Überstrom-Schutzeinrichtung vorhanden ist, und wenn im Fehlerfall mindestens der Strom zum Fließen kommt, der eine Auslösung der Schutzeinrichtung unter den in der Gerätebestimmung für den Überlastbereich festgelegten Bedingungen (großer Prüfstrom) bewirkt.

Wenn im TT-System der Verteilungsstromkreis zwischen Zähler und Unterverteilung nicht kurz- und erdschlusssicher ausgeführt wird, kann der Schutz dieses Stromkreises durch den Einsatz einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) sichergestellt werden.

Diese Schutzmaßnahme darf in den aufgeführten Verteilungsstromkreisen nicht angewendet werden, wenn davon auszugehen ist, dass ein Anwender ohne Berechtigung gemäß NAV §13 Betriebsmittel oder Teile von Betriebsmitteln der Schutzklasse II durch solche der Schutzklasse I ersetzen kann und damit die Wirksamkeit dieser Maßnahme aufgehoben wird.«

Interpretation der Verlautbarung

Der letzte Satz sollte sich eigentlich auf die Schutzmaßnahme doppelte oder verstärkte Isolierung beziehen und nicht auf den zweiten Absatz des vorstehenden Zitats, der mit »Wenn im TT-System (…)« beginnt. Zur zurückgezogenen DIN VDE 0100-410 :2007-06 gab es schon mal eine entsprechende Verlautbarung, die diesbezüglich folgende eindeutige Festlegungen enthielt: »Der in 412.1.2 geforderte Nachweis effektiver Maßnahmen durch z. B. wirksame Überwachung für Stromkreise oder Teile der elektrischen Anlage im normalen Betrieb ist mit den oben genannten Voraussetzungen erfüllt. Automatisches Abschalten kann aus anderen Gründen, z. B. zum Schutz gegen thermische Auswirkungen oder zum Schutz bei Überstrom, notwendig sein.«

Fazit

Nach der derzeitigen Verlautbarung müssen Sie nun leider selbst entscheiden, ob diese Vorgaben bei Ihren Anlagen erfüllt sind bzw. erfüllt werden können. Für normale Wohnungsinstallationen möchte ich dies – zumindest aus meiner persönlichen Sicht – mit ja beantworten.

Beim Einsatz einer RCD im Zählerplatz bzw. Zählerschrank für den »Verteilungsstromkreis« ist eine selektive RCD nach DIN EN 61008-2-1 (VDE 0664-11), DIN EN 61009-2-1 (VDE 0664-21) oder DIN EN 60947-2 (VDE 0660-101) auszuwählen. Diese muss ein Verhältnis des Nennfehlerstroms zwischen vor- und nachgeschalteter RCD von mindestens 3:1 aufweisen.

Werner Hörmann

PP24131


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