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Praxisfrage

Anpassung oder Bestandsschutz?

Als interessierter Leser der Fachzeitschrift »de« sind mir in den Heften 17/2015 (»Von Wechsel- auf Drehstrom umstellen«) und 19/2015 (»Neubeantragung eines Zählers beim VNB«) zwei Beiträge von Herrn Hans-Josef Tonnellier aus der Rubrik Praxisprobleme zu dem Thema »Bestandschutz« aufgefallen. In den Beiträgen ging es konkret um den Austausch eines Wechselstromzählers gegen einen Drehstromzähler (17/2015) bzw. um die Neumontage eines Zählers nach einer Energiesperre, bei der der ursprüngliche Zähler vom VNB entfernt wurde (19/2015). In beiden Fällen geht es faktisch um das gleiche Problem, nämlich den Austausch der Messeinrichtung. Insofern ist die Problemstellung aus meiner Sicht vergleichbar. Trotz der Vergleichbarkeit beider Fragestellungen lassen m. E. die unterschiedlichen Stellungnahmen von Herrn Tonnellier zu den beiden Fällen unterschiedliche Interpretationen zu. In der Stellungnahme in Heft 17/2015 wird – wie ich meine zu Recht – auf einen grundsätzlichen Weiterbetrieb der Anlage nach Prüfung und Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung hingewiesen. In der Stellungnahme in Heft 19/2015 hingegen wird eher der Eindruck erweckt, dass die bestehende Anlage allein schon auf Grund Ihres Alters nicht mehr weiter betrieben werden soll. In beiden Fällen empfiehlt der Autor den »Schulterschluss« mit dem VNB zur argumentativen Unterstützung im Hinblick auf die Erneuerung der Anlagen. Gestatten Sie mir hierzu folgende Anmerkungen: Grundsätzlich bin ich mit Herrn Tonnellier einer Meinung, dass in den vorliegenden Fällen eine Erneuerung der Anlage den Königsweg darstellen würde. In der Praxis wird sich das allerdings in den wenigsten Fällen so umsetzen lassen. Welcher Hausbesitzer ist bereit, ggf. einen hohen Betrag in die Erneuerung der el. Infrastruktur eines Mehrfamilienhauses zu investieren, nur weil ein Mieter seinen Strom nicht bezahlt hat oder wegen seiner neuen High-Tech Küche einen Drehstromanschluss möchte? Die grundsätzliche Forderung zur Erneuerung einer Anlage auf Grund ihres Alters kann aus den einschlägigen Regelwerken nicht abgeleitet werden. Vielmehr ist hierzu im Anhang 1 der DGUV-Vorschrift 3 formuliert, dass (bis auf die dort ebenfalls aufgeführten Ausnahmen): Eine Anpassung an neu erschienene elektrotechnische Regeln nicht allein schon deshalb erforderlich ist, weil in ihnen andere, weitergehende Anforderungen an neue elektrische Anlagen und Betriebsmittel erhoben werden. Sinngemäß gleiches steht in der TAB 2007 (Kap. 1, Abs. 2 Satz 2). Für den bestehenden Teil der Kundenanlage gibt es seitens der TAB keine Anpassungspflicht, sofern die sichere und störungsfreie Stromversorgung gewährleistet ist. Die beschriebenen Problemfälle beziehen sich ausschließlich auf die Kundenanlage, zu der auch das Zählerfeld gehört, also auf Anlagenteile hinter der Übergabestelle (Hausanschlusskasten). U. U. wird die Messung von einem fremden Messstellenbetreiber betrieben, so dass ggf. nicht einmal die Messeinrichtung dem VNB gehört. In dieser Konstellation wird es auch einem VNB nicht möglich sein, Forderungen zu erheben bzw. durchzusetzen , die nicht durch entsprechende Festlegungen in den einschlägigen Regelwerken vorgegeben sind. Weiterhin gebe ich zu bedenken, dass niemand auf die Idee käme, eine Anlage allein auf Grund ihres Alters außer Betrieb zu nehmen, weil beispielsweise ein turnusmäßiger Zählerwechsel vorgenommen werden muss. Mit welchen Argumenten möchte man dann begründen, dass die Inbetriebnahme einer Altanlage nach ein Zählertausch aus anderen Gründen nicht mehr möglich sei? Überdies liegt die Verantwortung für alle Arbeiten in der Kundenanlage bei dem ausführenden Elektrounternehmen, welches im Zweifel die (Kunden)-Anlage sehr viel besser kennt und beurteilen kann, als dies der VNB kann. Der VNB kann m. E. hier allenfalls beratend tätig sein und sollte sich nicht in die Rolle des Vermittlers zwischen Anschlussnehmer und Elektrounternehmen begeben.. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass das Thema »Bestandsschutz« auch eine volkswirtschaftliche Komponente hat. In unseren Energieversorgungsnetzen sind in allen Spannungsebenen bis hin zur Höchstspannung Betriebsmittel installiert, die per se auf Betriebszeiten von mehreren Jahrzehnten ausgelegt sind. Es ist durchaus keine Seltenheit, dass Kabel, Leitungen, Transformatoren, usw. betrieben werden, deren Betriebsdauer jenseits der 50 Jahre liegt und die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in allen Punkten den aktuellen Regelwerken entsprechen. Möchte man diese nur auf Grund ihres Alters austauschen, wäre das eine gewaltige Kraftanstrengung und eine enorme volkswirtschaftliche Herausforderung. Aus den vorgenannten Gründen scheint mir die Vorgehensweise wie von Herrn Tonnellier in dem Artikel in Heft 17/2015 beschrieben als die zielführendste, indem für jede Alt-Anlage die Frage nach einem weiteren Betrieb nach einer vorhergehenden Besichtigung, Prüfung, Messung und einer abschließenden (Gefährdungs)-Beurteilung durch eine fundierte Einzelfallentscheidung des Elektrounternehmens zu treffen ist. Das Alter der Anlage würde hierbei eine untergeordnete Rolle spielen. Ich würde mir in diesem Sinne eine Klarstellung zu den beiden Stellungnahmen wünschen, die den Elektrofachkräften und -unternehmen einen eindeutigen Weg aufzeigt, wie sie mit dieser immer wieder und teils kontrovers diskutierten Thematik in der Praxis umgehen können. R.B., Baden-Württemberg

Expertenantwort vom 12.10.2016
Autorenbild
Hans-Josef Tonnellier

Elektrotechniker-Meister, Gutachter Elektrotechnik

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